Maike Brülls

Maike Brülls arbeitet als Journalistin in Berlin. Sie hat Kulturjournalismus studiert. Ihre Texte sind unter anderem in der taz, bei VICE, ZEIT Online, DUMMY und MISSY erschienen. Außerdem arbeitet sie an Videos für verschiedene Formate des funk-Netzwerks.

Pflanzen für die Nachbarschaft

15.10.2019
So sehen Baumscheiben aus, wenn Alfa Conradt etwas mit ihnen zu tun hatte. Foto: Maike Brülls
So sehen Baumscheiben aus, wenn Alfa Conradt etwas mit ihnen zu tun hatte. Foto: Maike Brülls

Alfa Conradt ist Baumscheibenaktivistin im Wedding. Um die kleinen Beete an der Baumwurzel zu schützen, hat sie sich sogar schon einmal angekettet

„Können wir jetzt den Zaun anmalen?“, ruft ein Mädchen mit dunklen langen Haaren. Sie guckt so hoffnungsvoll, die Erwachsenen um sie herum können es ihr nicht ausschlagen. Schon holt eine von ihnen den roten Lack und ein Set Pinsel, eine andere ein Stück Karton und einen Schraubenzieher. Mit dem Schraubenzieher wird die Lackdose geöffnet, das Stück Pappe unter den Zaun gelegt und das Mädchen legt los, streicht langsam und bedacht die hölzernen Latten.

Für die Erwachsenen bedeutet das: Pause. Und die kommt ihnen gelegen. Schon seit sechs Stunden sind sie an diesem Samstag Anfang Oktober zugange. Die Nachbar*innen der Barfusstraße im Wedding sind zusammengekommen, um eine Baumscheibe vor ihrem Haus zu bepflanzen. Damit ist in diesem Fall nicht der Querschnitt eines zersägten Baumes gemeint, sondern das kleine Fleckchen Erde um dessen Wurzel. Sie haben schon die oberste Schicht Erde abgetragen, neue Erde eingefüllt, aus Latten einen Zaun gebaut und erste Pflanzen eingesetzt. Ein buntes Beet soll hier entstehen. So, wie es sie in der Nachbarschaft einige gibt.

Dass dem so ist, liegt vor allem an einer Person: Alfa Conradt. Gerade kommt sie mit ihrem Auto angedüst, parkt es an der Seite. Sie steigt aus und hebt eine große grüne Wäschewanne aus dem Auto, darin eine große Pflanze. „Diese Fette Henne sollte da noch rein“, sagt sie, während sie die Wanne auf dem Bürgersteig abstellt. „Sonst wächst darin zu wenig.“

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So traurig sah die Baumscheibe vorher aus.

Alfa Conradt nennt sich selbst Baumscheibenaktivistin. Seit sechs Jahren aktiviert die 53-Jährige Menschen, die Baumscheiben vor ihren Häusern zu pflegen. Sie hilft ihnen, die richtigen Pflanzen auszuwählen, genug Erde zu kaufen, zu buddeln und den Antrag beim Grünflächenamt zu schreiben. Als sie 2013 mit ihren ersten Mini-Beeten anfing, wollte das Grünflächenamt ihr das Begrünen der Baumschreiben nicht erlauben. Doch Alfa Conradt war zäh, sie kämpfte für ihre kleinen Gärten. Und sie gewann.

Heute werden gleich zwei Baumscheiben neu angelegt, eine dritte muss mit Zwiebeln bestückt werden. Denn der Winter naht und somit ist es vielleicht die letzte Gelegenheit, Pflanzen zu setzen, und diese ihre Wurzeln noch in die Erde graben können, um so die kalten Monate zu überstehen.

Die Fette Henne aus der Wanne ist bei der Baumscheiben-Pflanz-Aktion Nummer zwei übriggeblieben. Kurz muss Conradt sich sammeln. „Ich hole jetzt die Latten von mir aus dem Kabuff. Drüben ist zu wenig Holz für den Zaun. Schaufel und Spaten braucht ihr ja nicht mehr? Dann nehme ich sie wieder mit.“ Sie steigt wieder in ihr Auto. „Und gut wässern!“, ruft sie und zieht die Tür zu.

Alfa Conradts Beete sind schon ein kleines Politikum in der Nachbarschaft. Das liegt meist nicht an den Pflanzen, sondern an der hölzernen Umrandung. „Meine Beete kriegen alle einen Zaun“, sagt sie ein paar Tage vor der Pflanz-Aktion. „Auch, wenn es nicht erlaubt ist. Denn sonst sind die innerhalb von zwei Wochen komplett kaputt und es lohnt sich nicht.“ Schon mehrfach hatte sie deswegen Ärger mit dem Ordnungsamt. Einmal, 2013, ging der sogar so weit, dass Conradt sich an einen ihrer Zäune ankettete.

Leute kommen zusammen

Alfa Conradt sind ihre Beete wichtig. Für sie sind sie ein Beitrag zu einer ökologischeren Stadt. Denn sind die Beete richtig angelegt, können nicht nur Insekten darin wohnen. Auch dem Baum tut es gut, wenn das Beet regelmäßig und ausreichend gewässert wird. Einige Preise hat sie deswegen schon bekommen, unter anderem den Umweltpreis Mitte.

Aber auch eine soziale Komponente spielt mit hinein. „Die Baumscheiben werden meist von mehreren Parteien in einem Haus gepflegt“, sagt sie. „Dafür sind sie auch gut: die Menschen aus der Nachbarschaft zusammenbringen.“ Dafür macht sie auch Aktionen, wie bei der Langen Nacht der Stadtnatur, wo sie einen Kurs zu den Mini-Gärten gegeben hat.

Wie gut man Nachbar*innen mit ein paar neuen Pflanzen zusammenbringen kann, sieht man auch an diesem Samstag. Eltern, Kinder, Rentner*innen – viele der Menschen, die vorbeigehen, werden aufmerksam und bleiben stehen. Manche, wie das Mädchen, das den Zaun streicht, machen sogar spontan mit. Die Szenerie ist auffällig: buddelnde Menschen, eine auf dem breiten Gehweg ausgebreitete Picknickdecke mit vier Kissen und einen niedrigen Holztisch, Böcke, Säge und Holz stehen herum. „Das ist ja toll“, sagt ein Mann, der zwei Häuser weiter wohnt. „Das will ich auch machen!“

Alfa Conradt freut sich sichtlich, als sie das hört. „Klar, im Frühjahr machen wir das gerne.“ Denn mit jeder Person, die sich für die Aktion interessiert, kommt sie ihrem Ziel näher: Eines Tages an jedem Baum in ihrem Kiez ein kleines Beet gepflanzt zu haben.

„Können wir jetzt den Zaun anmalen?“, ruft ein Mädchen mit dunklen langen Haaren. Sie guckt so hoffnungsvoll, die Erwachsenen um sie herum können es ihr nicht ausschlagen. Schon holt eine von ihnen den roten Lack und ein Set Pinsel, eine andere ein Stück Karton und einen Schraubenzieher. Mit dem Schraubenzieher wird die Lackdose geöffnet, das Stück Pappe unter den Zaun gelegt und das Mädchen legt los, streicht langsam und bedacht die hölzernen Latten.

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