Anna-Lena Wenzel

Dr. Anna-Lena Wenzel* ist Autorin und Künstlerin. Nach ihrem Studium der Angewandten Kulturwissenschaften in Lüneburg promovierte sie über „Grenzüberschreitungen in der Gegenwartskunst“. Sie betreibt das Online-Magazin 99 % Urban und den Radiosalon für Alltägliches und ist in unterschiedlichen kollektiven Zusammenhängen unterwegs.

Was läuft (nicht) mit Corona

08.12.2020
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Seit November ist der Kulturbetrieb erneut im Lockdown. Was bedeutet das für die Kulturschaffenden? Anna-Lena Wenzel hat sich umgehört, unterschiedliche Stimmen gesammelt und daraus den fünften Teil der Serie zusammengetragen.

Als im November der zweite Lockdown kam und besonders die Kulturschaffenden betraf, merkte ich, wie mein Motor ins Stottern kam. Ich hatte gerade wieder angefangen Ausstellungen zu besuchen, ins Kino zu gehen und unterwegs zu sein, als klar wurde, dass all das jetzt wieder wegfallen würde. Und obwohl es zu erwarten war, wollte ich nicht zurück zu digitalen Formaten, langen Abenden allein zu Hause und Spaziergängen oder Zoom-Meetings als einzige Möglichkeiten sich mit Freund*innen und Kolleg*innen zu treffen. Die Aussicht auf zunehmende Dunkelheit und Kälte tat ihr Übriges, um meine Stimmung zu dämpfen. Gleichzeitig merkte ich, dass sich etwas verändert hatte: War das Frühjahr durch Unsicherheit und Solidarität, Finanzhilfen und einen hohen Orgaaufwand nach innen und außen geprägt, empfand ich die Stimmung nun resignativer und den Umgang damit gleichzeitig pragmatischer.

Ich wollte wissen, wie andere die Situation wahrnahmen und fragte Kulturschaffende aus unterschiedlichen Sparten, die ich schon einmal für Kultur-Mitte interviewt hatte oder deren Umgang mit der Situation mich interessierte. Mir war es wichtig, möglichst unterschiedliche Stimmen zu sammeln – von Leuten, die mental und physisch erschöpft sind ebenso wie von Leuten, die von der Situation profitieren. Mich haben dabei die Fakten ebenso interessiert, wie die allgemeine Gefühlslage und die ganz persönlichen Auswirkungen auf die eigene Arbeitspraxis.

Die Fotoauswahl ist ebenfalls eine Reaktion auf die aktuelle Situation – und die steigende Anzahl digitaler Angebote. Weil die Museen und Ausstellungen erneut geschlossen sind, gibt es vermehrt virtuelle Führungen in 3D, die eine neuartige Art der Rezeption mit sich bringen. Ich finde es faszinierend, wie rasch ich ein Gebäude durchstreifen kann, bin aber schnell enttäuscht, wenn ich nicht nahe genug herankomme oder mir keine Filme und Soundaufnahmen anhören kann. Und weil ich noch ungeübt bin (oder neugierig), schaue ich zwischendurch auf den Boden, lande an der Decke oder freue mich über ungewohnte Effekte wie Schatten der Kamera oder Spiegelungen der Fenster in den Vitrinen. Eine Auswahl dieser Suchbewegungen und Fundstücke der Angebote des Kunstgewerbemuseums, des Stadtmuseums und des HKW habe ich hier zusammengetragen.

Virtueller Rundgang durch die Warburg Ausstelung im HKW

Die Kunstvermittlerin sagt, sie sei ziemlich ausgelaugt, weil ihre Arbeitssituation so unsicher sei. Viele Workshops seien abgesagt worden, doch anders als beim ersten Lockdown würden Schulen gerne Workshops durchführen – allerdings nicht im Museum, sondern in der Schule. Das aber bedeute, dass die Workshops neu konzipiert werden müssten, und dass sich die Kunstvermittler*innen einem größeren Gesundheitsrisiko aussetzten, wenn sie vor Ort arbeiten würden, denn in den Schulen gelten laschere Abstandsregeln als in den Museen. Sie habe deshalb zähneknirschend einige Workshops abgesagt, erzählt sie, obwohl das bedeutet, dass sie auf ihr Einkommen verzichten muss.

Der Stadtführer musste im November kurzfristig alle geplanten Stadtführungen absagen, nachdem es widersprüchliche Aussagen von Behördenseite gab. Das war für ihn und seine Teilnehmer*innen unangenehm. Trotzdem gehe es ihm hervorragend, erzählt er mir. Er hätte in den Sommermonaten so viel verdient, dass er sogar die 5000 Euro Soforthilfe zurückgezahlt habe. Auch habe er das Angebot des Museums ausschlagen können, Ersatzaufgaben zu den ausgefallen Führungen im Museum zu übernehmen. Nun sei er dabei, sich in neue Themen einzuarbeiten und weitere Spaziergänge zu konzipieren. Einziger Wermutstropfen: die Tatsache, dass einige Archive geschlossen sind und er nicht vor Ort recherchieren kann.

Bei der Museumsmitarbeiterin ist dagegen die Luft raus: Sie hat so viel Zeit und Energie darauf verwendet, Hygienekonzepte zu erarbeiten und mit den freien Mitarbeiter*innen im Kontakt zu bleiben, sie zu informieren und Lösungen zu suchen, dass sie sagt, sie könne die aktuelle Schließung nur schwer nachvollziehen. Ihr falle es schwerer als beim ersten Mal sich umzustellen.

Die Künstlerin, die sich im Vorstand des Künstlerverbandes engagiert, berichtet von den Kämpfen um die Anpassung der Förderungen an die Realitäten und Bedürfnisse von Künstler*innen und von den aktuellen Diskussionen um Juryentscheidungen und –besetzungen. Sie kritisiert die fehlenden finanziellen Ausschlusskriterien bei der Bewerbung für das Berliner Corona-Stipendium, die dazu geführt haben, dass sich auch Kulturschaffende beworben haben, die das Geld nicht existentiell brauchen, da sie entweder gut verkaufen, Galerievertretungen oder auch Professuren haben. Aus diesem Grund entstehe ein Gefühl der Unsolidarität. Sie kritisiert die von der Politik propagierte Grundsicherung aka Hartz IV, die als Alternative zu fehlenden Unterstützungen all jener, die im informellen Sektor des Kunstsystems arbeiten und deren Jobs durch den neuen Lockdown nun verschoben oder abgesagt worden sind, dargestellt wird. Zudem treibe sie ganz grundsätzlich die Frage der Systemrelevanz von Kunst und Kultur um, und die Frage, wie sich diese Wochen der erneuten Schließung sämtlicher Kulturinstitutionen auf die Psyche auswirken werden.

Virtueller Rundgang durch das Kunstgewerbemuseum

Der Clubbetreiber schreibt: „Der zweite Lockdown für die Gastronomie ist anders als der erste, fühlt sich anders an, mehr wie Routine. Ich habe schon Ende September damit gerechnet und auch damit, dass es lange dauern wird. Ich gehe davon aus, dass wir bis März geschlossen haben müssen und, dass danach wahrscheinlich erst mal nur an der frischen Luft etwas machbar sein wird. Wir haben den Sommer dazu genutzt, uns so gut es geht abzusichern für das kommende Jahr, im Sommer war dann sehr viel zu tun, weil wir kaum noch Angestellte haben und alles wieder selber machen mussten. Insofern kam die Pause auch ganz gelegen. Ich bin zur Zeit nicht besonders beunruhigt, weil ich damit rechne, dass der Staat zahlt. Solange davon auszugehen ist, müssten wir die Sache sozusagen aussitzen und können die Zeit für alle möglichen Seitenprojekte nutzen.“

Die Künstlerin findet, dass die Coronastimmung gerade am Kippen ist. „Diese dunkle Jahreszeit ist ja auch schon ohne Corona wirklich anstrengend. Und wenn die Drängelei in den Geschäften, gemeinsam Plätzchen backen und Glühweintrinken wegfällt, ist es sicher noch schwerer auszuhalten für viele.“ Sie empfindet Corona als Cut, der es ihr erschwert, die Arbeitsfäden wieder aufzunehmen und in ein konzentriertes Arbeiten zu finden. Sie beschäftigt, dass sich das Zeitgefühl im Vergleich zum Vor-Corona Alltag verändert hat und es ihr vorkommt, als würde die Zeit schneller vergehen.

Die Dramaturgin hat ein Buch mitherausgegeben mit dem Titel „Lernen aus dem Lockdown“, in dem unterschiedliche Kulturschaffende aus dem Bereich des Freien Theaters zu Wort kommen und ihren Umgang mit und ihre Einschätzung der Krise teilen. Die Bestandsaufnahme besticht durch sehr unterschiedliche Text-Formate und hat viel Resonanz bekommen. Das Buch will weniger Antworten geben, als das es verschiedene Stimmen/ Perspektiven/ Reflektionen zusammenträgt, die sich mit den Chancen und Widerständen der Digitalisierung ebenso beschäftigen, wie mit der Konfrontation und dem Umgang mit Unsicherheiten. Kann man dennoch etwas lernen? Dass es gut tut, in dieser Zeit der Ungewissheit, die eigene Verwundbarkeit mit anderen zu teilen.

Der Schauspieler will lieber über das sprechen, was geht, als darüber was nicht geht. Das private Theater, für das er arbeitet, ist zwar geschlossen, doch es bastelt weiterhin an alternativen Formaten und ist u.a. dabei, ein Serienformat für Netflix zu entwickeln. Er selber bekommt parallel Anfragen für Filmauftritte und ist auch sonst durch andere Tätigkeiten und nicht zuletzt durch seine Familie mehr als ausgelastet. Er schreibt, dass er die Situation nicht schön findet, ihm aber durchaus bewusst sei, dass es viele härter treffe, die nicht so flexibel in der Arbeitswahl sind. Trotz der großen Unsicherheit, befremdet ihn die Haltung von Kolleg*innen, die sich beschweren, dass ihnen die Bühne abhanden gekommen sei, denn er habe eine Nachbarin, die beim Gesundheitsamt arbeitet und händeringend Leute für contact tracing und Infiziertenberuhigung sucht, Leute also die gut sprechen und empathisch sind, und warum, fragt er sich, übernehmen Schauspieler*innen nicht diese Aufgaben? Ihn drückt, dass die Politik den realen Einkommensalltag und die Strukturen des Rechnungsschreibens bei Soloselbstständigen so wenig zu kennen scheint, dass Förderprogramm wie die „Neustarthilfe“ des Bundes aufgelegt werden, die er – wie viele andere auch – nicht in Anspruch nehmen kann, weil er seine Einkommensausfälle für die entsprechenden Monate nicht nachweisen kann.

3D-Rundgang durch das Märkische Museum

Die Musikerin empfindet die Situation als sehr anstrengend und ist erschöpft. Außerdem würde sie mittlerweile merken, wie sehr ihr Live-Auftritte mit Publikum, der Austausch mit Kolleg*innen bei Konzerten und die Konzertreisen fehlen. „Man merkt erst nach ein paar Monaten, welchen Stellenwert das hat“, schreibt sie. Finanziell sind die Verluste für ihr Ensemble zu verkraften, da es basisgefördert ist und viele Projekte ins Digitale verlegt werden konnten. Dennoch planen sie sehr viel, ohne zu wissen, ob es dann am Ende auch in der geplanten Form stattfinden kann. Das drücke auf die Nerven.

Haben sie am Anfang viel mit digitalen Formaten experimentiert und Neues ausprobiert, werden sie sich der Grenzen dieser Formate – und dem Aufwand, den es bedarf sie professionell zu pflegen – immer bewusster. Hinzu kämen die strengen Hygienevorschriften für Musiker*innen, zu denen sie keine Alternative weiß, die aber ihre Arbeit erheblich einschränken würden, auch weil es in der freien Szene keine Corona-Schnelltests gäbe. „Die Bläser können beim Proben und den Aufnahmen keinen Mundschutz tragen – wodurch wir uns alle einem Risiko aussetzen, dennoch gibt es zu dem gemeinsamen Proben in einem Raum keine Alternative.“

Der Veranstalter schreibt, Corona mache dumm, doch der TV-Cutter, der auch als Techniker und Kameramann arbeitet, kann sich nicht beschweren: Zwar würde er weniger für Veranstaltungen angefragt, doch hat er in seinem Hauptfeld Postproduktion/Schnitt keine Einbrüche gehabt. Hier hätte er sogar etwas mehr zu tun gehabt, weil bei Streaming-Videos nachträglich Bearbeitungen anfielen etc.

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