Anna-Lena Wenzel

Dr. Anna-Lena Wenzel* ist Autorin und Künstlerin. Nach ihrem Studium der Angewandten Kulturwissenschaften in Lüneburg promovierte sie über „Grenzüberschreitungen in der Gegenwartskunst“. Sie betreibt das Online-Magazin 99 % Urban und den Radiosalon für Alltägliches und ist in unterschiedlichen kollektiven Zusammenhängen unterwegs.

Wechselnde Pläne & wiederkehrende Widrigkeiten. Zur Baugeschichte der Akademie der Künste der DDR

09.04.2019
Baustelle des Archiv-Gebäudes Robert-Koch-Platz 10 im Juli 1987, Foto: Christian Kraushaar

Die Ausstellung Pläne, Projekte, Perspektiven im Archiv-Neubau der Akademie der Künste am Robert-Koch-Platz 10, widmet sich der Baugeschichte des einzigen Archivzweckbaus in der DDR. Aus Anlass des 30-jährigen Jubiläums zeichnet eine Foyer-Ausstellung eine Geschichte von ständiger Raumnot, schwierigen Arbeitsbedingungen und unzureichender Unterbringung der Archive nach.

Im Archiv der Akademie der Künste am Robert-Koch-Platz dokumentiert eine Ausstellung die widrige Entstehungsgeschichte des Baus, der vor 30 Jahren eingeweiht wurde. Die überschaubare Schau im Foyer des Hauses versammelt aufschlussreiche Ausstellungstexte und klug zusammengestellte Originaldokumente wie Briefe, Architekturentwürfe und einen Film von der Einweihungsveranstaltung. Ergänzt wird die Ausstellung durch eine Mappe, in der weitere Dokumente versammelt sind.

In der Ausstellung wird einerseits die wechselvolle und langwierige Geschichte des Neubaus dokumentiert – und andererseits Einblick in ein untergegangenes System gegeben, in dem es noch Chefarchitekten und Ruheräume für Frauen gab und die Bauarbeiter*innen bei der Einweihungsfeier zugegen waren und dazu eingeladen wurden, das Archiv auch tatsächlich zu nutzen. Die Ausstellung ist aufschlussreich, weil sie Einblicke gewährt in die damalige Art der Kommunikation und der Planungsprozesse – und in die Zeit von Berlin als geteilter Stadt. Aus diesem Grund wird in diesem Beitrag viel aus den Ausstellungstexten und den Originaldokumenten zitiert.

Ausstellungsansicht, Foto: Anna-Lena Wenzel

Bei ihrer Gründung 1950 war die Akademie der Künste der DDR auf mehrere Standorte verteilt. Ihr Hauptsitz was das heutige Kaiserin-Friedrich-Haus am Robert-Koch-Platz 7, während sich am Pariser Platz, an dem die vereinigte Akademie nun ihren repräsentativen Sitz hat, nur ein Nebengebäude befand. Der schlechte Zustand der Gebäude und die Raumnot führten dazu, dass bereits Mitte der 1960er Jahre Pläne für einen Neubau entstanden. Nur die Standortfrage war noch unklar. „Der Entwurf des damaligen Chefarchitekten von Ost-Berlin Joachim Näther sah einen Bau in der Breiten Straße Ecke Gertraudenstraße vor.“[1] Doch „[i]n Sorge um eine öffentlichkeitswirksame Platzierung von Kunstausstellungen bestand die Sektion Bildende Kunst auf einer zentralen Lage.“ Eine Einigung kam daraufhin nicht zustande. Als nächstes „nahm man als Bauplatz das Grundstück Burgstraße Ecke Littenstraße ins Visier. Durch den Ministerrat wurden 34 Millionen Mark Baukosten bewilligt und das Objekt in den Prognoseplan des Stadtbauamtes mit einem für 1976 anvisierten Baubeginn aufgenommen.“ Doch auch diese Pläne wurden nicht realisiert: „Aufgrund eines nicht ausreichend vorhandenen Investitionsvolumens konnte ein dringend notwendiger Akademie-Neubau jedoch nicht einmal in die sogenannte „5-Jahres Konzeption“ für 1976-80 aufgenommen werden.“[2]

Derweil die Planungen auf der Stelle traten, wurde die Raumsituation für die Mitarbeiter*innen der Akademie zusehends schwieriger und zusätzlich erschwert durch die Folgen zweier aufeinander folgender Unwetter am 11. und 16. August 1972, die schwere Schäden am Dach sowie Wasserschäden bis ins Erdgeschoss und daraufhin die vollständige Räumung des Gebäudes am Pariser Platz nach sich zogen. Auf eine langfristige Einordung in Perspektivpläne konnte nicht mehr gewartet werden.

Ein Brief des Präsidiums der Akademie der Künste der DDR an das Politbüro des Zentral Komitees (ZK) der SED zu Händen des Ersten Sekretärs Genossen Erich Honecker, vom 2. März 1976 verdeutlicht die Dringlichkeit der Lage:

„Sehr geehrter, lieber Genosse Honecker!

Das Präsidium der Akademie der Künstler der DDR hat lange gezögert, diesen Brief an Sie zu schreiben. Wir halten ihn auch für einen Ausnahmefall, denn es liegt uns nicht, sogleich mit Fragen oder Problemen das Politbüro oder den Ersten Parteisekretär zu bemühen in der Annahme, alle eigenen Probleme seien so schwerwiegend, daß sie nur oder sofort von der Führung unserer Partei entschieden werden könnten. Aber gegenwärtig ist eine Situation für die Akademie entstanden, die wohl eine Rechtfertigung für diese Zeilen bietet. Erlauben Sie uns bitte, den Sachverhalt so konzentriert wie möglich zu schildern.“

Der Brief hatte Erfolg. 1976 wurde als Zwischenlösung das ehemalige Gebäude der Volkskammer der DDR in der Hermann-Matern-Straße (heute Luisenstraße) hergerichtet und im Februar 1977 feierlich eröffnet. Ein weiterer Neubau-Plan existierte bereits und die Akademie wurde bei den Planungen für die Gestaltung des Platzes der Akademie (heute: Gendarmenmarkt) mit berücksichtig. Neben einem Entwurf für den Neubau von Rudolf Weißer heißt es auf der Infotafeln in der Ausstellung: „Dieser Standort hätte die Institution ins Stadtzentrum gerückt und aus ihrer peripheren Lage in der Nähe zur Grenze nach West-Berlin befreit. Der 13-geschossige Bauteil II war so konzipiert, dass alle Abteilungen und Arbeitsbereich in einem Gebäude zusammengefasst gewesen wären. Der Plenarsaal sollte 250 bis 300 Besuchern Platz bieten. Neben einem Arztzimmer inklusive Wartebereich und Behandlungsraum waren auch Frauen-Ruheräume, ein Sportraum und eine Sauna geplant.“ Doch das Projekt wird nicht realisiert: „Spätestens 1980 sollten die Bauarbeiten beginnen. Die DDR hatte jedoch schon in dieser Zeit keine ausreichenden finanziellen Mittel mehr für derartige Großbauprojekte.“ Aus diesem Grund kam der Robert-Koch-Platz ins Spiel. Dort begannen „[n]eben der Sanierung des Hauptgebäudes am Robert-Koch-Platz 7 […] 1986 die Bauarbeiten für den einzigen Archiv-Zweckbau der DDR in dieser Größe an der Ecke Hannoversche Straße. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite solle ab 1990 ein Geschwistergebäude für Ateliers und Werkstätten entstehen. […] Offiziell eingeweiht wurde das Archivgebäude am 4. Oktober 1988.“

Dazu ein Mitarbeiter: „Es war so, dass Kurt Hager, der Chefideologe der DDR, diesen ersten und einzigen Archiv-Neubau, den es in der DDR gab, eröffnen sollte. Und dann gab es innerhalb der Akademie und wahrscheinlich auch im Politbüro oder in der Kulturabteilung des Zentralkomitees der SED darüber Diskussionen, dass das wohl nicht schicklich sei in dieser Zeit, wo doch die DDR spürbar an Boden verlor, ökonomisch ziemlich schlecht da stand und der Wohnungsbau nicht das schaffte, war er schaffen sollte. Und da wurde diese Idee, das Haus groß mit Hager zu eröffnen, gestrichen. […] Es wurde dann nur eine kleine Feier mit den Mitarbeitern gemacht, aber sonst nichts. Das Haus wurde stillschweigend in Betrieb genommen.“

Archiv-Gebäude Robert-Koch-Platz 10, Foto: Anna Schultz/Akademie der Künste

Wobei das nicht ganz stimmt. In der Ausstellung sind sowohl ein Redetyposkript des Akademie-Präsidenten Manfred Wekwerth zur Einweihung des Gebäudes am 4. Oktober 1988 als auch ein Film von der Einweihungsveranstaltung ausgestellt. In seiner Rede versucht er das Beste aus der Situation zu machen: „Es heißt zwar, man solle den Tag nicht vor dem Abend loben. Aber es heißt auch, Feste soll man feiern, wie sie fallen, denn sie geben uns neue Kraft, Begonnenes zu einem erfolgreichen Ende zu führen. Wenn wir heute also mit unserer Planung und dem zu feiernden Erfolg in zeitliche Schwierigkeiten geraten sind, so denke ich, es ist nicht voreilig, wenn ich sage, die Mitglieder und besonders die Mitglieder der Archive, Bibliotheken und Sammlungen der Akademie der Künste sind froh, daß sie in wenigen Wochen ein schönes neues Haus beziehen werden.“

Der Einzug in das neue Gebäude zog sich bis in den Februar 1989 hin. Doch die Zeit der Mängellisten war damit nicht vorbei. Eine Mitarbeiterin berichtet: „Der erste Wassereinbruch in den Magazinen kam schon vor dem Einzug. Da stand das Wasser knöchelhoch. Mein erster Eindruck war, dass das Ganze mit einem gewissen Aufwand eingerichtet worden war. Der Archivneubau war zwar nichts fürs Auge, war aber nach dem aktuellen Standard eingerichtet worden.“[2]

Das Archiv der Akademie, in dem sich diverse Nachlässe und Sammlungen befinden, ist in mehrere Archive unterteilt: die Archive für Bildende Kunst Darstellende Kunst, Film- und Medienkunst, das Historische Archiv, das Literatur- und das Musikarchiv sowie einen zentralen Lesesaal. Was heute zusammengeführt ist, war zeitweise auf zwölf Standorte verteilt und hat mehrere Umzüge mitgemacht. Der größte Umbruch hat wohl nach der Wende stattgefunden, als das Archiv der AdK der DDR und ihr Westberliner Pendant vereint wurden und sich nun auf fünf Standorte konzentriert. Trotz des Umbruches sagt Werner Heegewaldt, seit 2016 Direktor des Archivs, dass dieser Prozess (im Vergleich zur Fusion der Akademien) ohne große Verwerfungen vonstattenging: „Die Voraussetzungen für eine Zusammenarbeit waren gut, auch wenn sich Größe, Organisation und Personalbestand erheblich unterschieden. Beide Künstlersozietäten bezogen sich auf die Tradition der Preußischen Akademie, deren Historisches Archiv in den Westen und deren Kunstsammlung zu großen Teilen in den Osten gelangt waren. Ihre Archive waren wesentlich den Mitgliedern verpflichtet und hatten – dem herrschenden Trend entgegen – keine spartenbezogenen, sondern einen übergreifenden alle Künste umfassenden Ansatz entwickelt. Auch das Sammlungsprofil wies Überschneidungen auf. Beide besaßen einen Schwerpunkt im Künstlerexil während des Nationalsozialismus und in der Berliner Nachkriegskultur. Vor allem aber traf sich das Interesse des Ostarchives, den eigenen Erhalt zu sichern, mit dem Wunsch des Westarchives nach Vergrößerung und Personalzuwachs, der durch die bestens ausgebildeten Kollegen im Osten gesichert werden konnte. […] In der Rückschau war die Bildung dieses gesamtdeutschen Archivs der Künste ein großer Erfolg […]. Die Fusion bedeutete nicht nur eine stärkere Profilierung und ein Zusammenwachsen von Menschen und Inhalten, sie war eine immenser Wissens- und Erfahrungstransfer, der beiden Seiten zugutekam.“ [3]

Dass die (Bau)-Geschichte des Archivs dennoch nicht an ihr Ende gekommen ist, dafür sprechen mehrere Faktoren: erstens wachsen die Archive ständig weiter, zweitens verändern sich die konservatorischen Standards und drittens kommen vermehrt digitale Nachlässe ins Haus, die andere räumliche Erfordernisse (wie einen Serverraum) mit sich bringen. Zudem wünscht sich Werner Heegewaldt für das Archiv Räumlichkeiten für Ausstellungen, Vermittlung und Tagungen, die nahe an den Archiven dran sind. Die Ideen für einen Neubau existieren bereits, bleibt zu hoffen, dass die Baugeschichte dieses Gebäudes nicht so lange andauert wie die des Standortes am Robert-Koch-Platz.

[1] Soweit nicht anders gekennzeichnet, stammen die Zitate aus den Ausstellungstexten sowie den ausgestellten Dokumenten.

[2] Zum Vergleich: Die Baukosten für das Humboldtforum betreffen 600 Millionen Euro.

[3] Aus der Rede von Werner Heegewaldt zum 25-jährigen Jubiläum der Vereinigung der Akademie der Künste Ost und West am 22.11.2018 in der Akademie der Künste am Pariser Platz.

 

Akademie der Künste
Robert-Koch-Platz 10
10115 Berlin

Pläne, Projekte, Perspektiven, 6.3. — 12.4.2019

Teilen