„Es war gut, etwas Sinnvolles zu tun“
Anruf bei einer Künstlerin, deren Jobs weggefallen sind oder auf der Kippe stehen, die diese Unsicherheit aber durch ihre politische Arbeit im Vorstand des bbk (berufsverband bildender künstler*innen berlin) teilweise kompensieren konnte (wenn auch nicht finanziell).
„Wie es mit meinem Mini-Job im Kino weitergeht, ist offen – wobei ich noch Glück im Unglück hatte, denn ich wurde im März noch bezahlt, auch weil ich noch Überstunden „abbummeln“ konnte. Im April habe ich außerdem bei Renovierungsarbeiten geholfen, so dass ich auch in diesem Monat noch etwas verdient habe. Wenn der Betrieb im Juli wieder losgeht, ist unklar wie es laufen wird und wie viele Mitarbeiter*innen gebraucht werden. Das Problem ist, dass durch die Hygienebestimmungen viel weniger Zuschauer*innen kommen können und zudem noch gar nicht vorhersehbar ist, wie Kino unter den momentanen Bedingungen überhaupt von den Besuchern* angenommen werden wird.
In meinem anderen Job als Aufbauhelferin arbeite ich immer nur, wenn Bedarf ist und dann oft für mehrere Wochen, sozusagen in Vollzeit. Da war zuerst auch nicht absehbar, wann genau wieder etwas zu tun sein würde. Doch weil die während des Corona Lockdowns laufende Ausstellung nur um einige Tage verlängert wurde, habe ich letzte Woche wieder gearbeitet. Allerdings weniger als normal, denn ein Teil der geplanten Arbeit wurde ins Digitale verlagert und damit fielen Aufgaben weg. Wenn im September der nächste Aufbau abgeschlossen ist, gibt es bis zum Ende des Jahres nichts mehr zu tun; wegen dieser ungewissen Perspektiven auch im Hinblick auf abgesagte Ausstellungsvorhaben habe ich die 5000 € Soforthilfe beantragt. Generell wird die Kunstwelt wohl noch lange durch die Folgen von Covid19 beeinträchtigt sein.“
„Was hast Du in der Zeit gemacht?“
„Ich habe viel geschrieben. Ich habe gemerkt – und das haben mir auch andere Künstler*innen bestätigt – dass der Kopf nicht frei genug ist, um ins Atelier zu gehen und kreativ zu sein. Außerdem hat die Arbeit für den bbk viel Zeit eingenommen. Statt alle zwei Wochen haben wir uns jede Woche getroffen und Basisarbeit in zwei Richtungen geleistet: Wir waren Ansprechpartner*innen für viele Künstler*innen und haben gleichzeitig mit der Politik kommuniziert, um unsere Bedarfe klar zu machen. Es gab auf Seiten der Künstler*innen viel Unsicherheit in Bezug auf die Corona-Hilfen – und auch Ärger, weil nicht alle von ihnen profitieren konnten. Gegen diese Ungerechtigkeiten bei der Verteilung anzugehen sowie gegen die Vorstellung auf Bundesebene, dass die Grundsicherung für Künstler*innen doch eine gute Lösung sei, war (und ist nach wie vor) ein Teil unserer Arbeit. Grundsätzlich haben wir aufgeklärt, beruhigt und uns für die Interessen und die häufig prekäre Situation der Kunstschaffenden eingesetzt. Wir hatten einen sehr direkten Draht zu Klaus Lederer und konnten ihn von der Dringlichkeit der Unterstützung überzeugen. Und wir in Berlin hatten somit wirklich Glück mit der Corona-Soforthilfe für Soloselbständige, da sie explizit auch für Lebenshaltungskosten verwendet werden kann.“
„Wurden bei Dir Projekte abgesagt oder verschoben?“
„Als der Lockdown war, hatte ich gerade eine Gruppenausstellung, die für mich sehr wichtig war. Aber die Ausstellung wurde lediglich um eine Woche verlängert und war dadurch insgesamt nur elf Tage geöffnet. Es gab einen digitalen Auftritt, auf dem neben Installationsansichten auch Streamings der Filmarbeiten zu sehen waren – aber es ist natürlich etwas anderes, ob ich Gäste* in die Räume einladen kann und dort zudem öffentliche Veranstaltungen stattfinden, oder ob ich einen link verschicke. Die Online-Dokumentation auf der Institutionsseite ist zudem mittlerweile nicht mehr sichtbar – was ich nicht nachvollziehen kann: bei so einer kurzen Ausstellungsdauer hätten dadurch viel mehr Menschen die Möglichkeit, die Arbeiten zumindest virtuell zu sehen. Das war frustrierend.“
Screenshot der “news” auf der Webseite des bbk
„Wir müssen in verschiedene Richtungen denken“
Anruf bei Oliver Baurhenn, der seit 2002 das CTM – Festival for Adventurous Music and Related Arts mitorganisiert, das jährlich Anfang des Jahres an verschiedenen Orten in Berlin stattfindet – sowohl in Institutionen als auch in Clubs. Baurhenn ist in verschiedenen Netzwerken aktiv, unter anderem ist er seit 2014 Mitglied im Rat für die Künste, einem gewählten unabhängigen Gremium, das die Berliner Kultur vertritt, und Mitglied des internationalen Netzwerks für Musik, Kunst und neue Technologien I.C.A.S. – International Cities of Advanced Sound.
Normalerweise ist die Zeit nach dem Festival, der März/ April, die Zeit, wo sich das Team regeneriert und langsam neue Themen entwickelt. Dafür war aber dieses Jahr keine Zeit: „Die Arbeit hat nicht aufgehört“, sagt Oliver Baurhenn, „denn wir haben ziemlich schnell angefangen zu überlegen, wie wir auf die Situation reagieren wollen und müssen. Wir haben wahnsinnig viele Gespräche geführt – mit Beteiligten, Förderern, Partner gleichermaßen. Im August wird es weitere Entscheidungen geben und bis dahin müssen wir in unterschiedliche Richtungen denken, denn es ist unklar, wie die Vorschriften Anfang nächsten Jahres aussehen werden und, ob es dann nicht doch schon einen Impfstoff gibt.“
Er erzählt, dass sie ein Hybrid-Format planen, das sich zum Teil ins Digitale verlagert – weil sie damit rechnen, dass Clubs noch nicht wieder geöffnet sein werden, weil sie dem internationalem Publikum, das nicht wird anreisen können sowie Menschen, die zu den Risikogruppen gehören, die Teilhabe ermöglichen wollen. „Wenn der Blick von Außen verschwinden würde, wäre das extrem schmerzhaft“, sagt Baurhenn.Eine große Frage sei, wie man die sozialen Situationen herstellen kann, von denen das Festival lebt, trotz Verlagerung ins Digitale und den zahlreichen Auflagen und Abstandsregeln. Es ginge im Team immer wieder darum, trotz der Unwägbarkeiten und voraussichtlichen Einschränkungen zu der Frage zurückzukommen, was trotz der Vorschriften Freude machen könnte, verrät er. Konkret treibt ihn um, wie man digital Austausch ermöglichen kann, wenn es einerseits Menschen gibt, die sich in digitalen Welten zu Hause fühlen und andere, für die diese Formate noch neu sind.Ein weiteres Problem von Online-Formaten sind die Kosten. Schon die Tagessätze von Programmierer*innen würden schnell die Mieten von Venues übersteigen. „Der Aufwand ist hoch, bei gleichzeitig geringer Bereitschaft, dafür Geld zu bezahlen. Weil wir viel weniger Einnahmen aus Eintrittsgelder erwarten, sind wir wild am rumrechnen.“Auf die Frage wie es finanziell aussehen würde, verweist er auf die Festivalförderung, die sie bekommen hätten, wodurch sie keine Mitarbeiter*innen in Kurzarbeit schicken mussten. Hätte es diese Förderung nicht gegeben, hätte es auch das Aus für das Festival sein können. „Da haben wir wirklich Glück, denn für die gesamte Clubkultur ist die Situation ein Desaster. Der ganze Bereich verdient kein Geld und es ist ungewiss, wer überleben wird.“Dennoch findet er, dass der Ambivalenz der Situation auch eine positive Energie innewohnen würde. Es sei insgesamt eine lehrreiche Angelegenheit. Anders als andere, die von einem Tag auf den anderen mit der Corona-Krise konfrontiert waren, hat das CTM-Team einen relativ langen Vorlauf und damit die Möglichkeit, sich auf die geänderte Situation einzustellen. Baurhenn sagt, das sei Fluch und Segen zugleich. Aber: „Die unerwarteten Begegnungen und emotionalen Situationen werden fehlen! So wie das Gespräch auf dem Flur weggefallen ist, als wir alle im Home-Office waren. Für manches gibt es einfach keinen Ersatz.“
Screenshot der Webseite des Rates für die Künste
„Super viel zu tun“
Anruf bei Silke Lange, freiberufliche Musikerin und künstlerische Leiterin des Ensembles LUX:NM für zeitgenössische Musik
Das achtköpfige Ensemble hätte Konzerte in der Villa Elisabeth und im Westhafen spielen sollen, doch wurden diese Konzerte entweder abgesagt oder verschoben. „Gerade am Anfang war es eine unklare Situation“, sagt Silke Lange, und erzählt, dass sie viel damit zu tun hatten, Termine umzudisponieren und auf die Situation zu reagieren, die ihnen ein Proben im gewohnten Rahmen erstmal unmöglich gemacht haben. „Es war dann etwa einen Monat etwas ruhiger, aber dann haben wir am 29. April unser erstes Streaming-Konzert gegeben. Das Konzert hätte in der Kulturbrauerei stattfinden sollen und fand dann eben ohne Publikum als Livestream statt. Dafür mussten wir ganz schön umdenken, aber es hat Spaß gemacht und sehr gut funktioniert. Letztlich haben es mehr Leute gesehen, als wenn wir live gespielt hätten. Das Problem ist, dass uns die Eintrittsgelder fehlen und wir durch die Verlagerung ins Digitale neue Ausgaben hatten, weil wir ein anderes Setup aufgebaut und zusätzlich mit Videos gearbeitet haben.“
Auf meine Frage, ob es für die ausgefallenen Konzerte Ausfallhonorare gibt, antwortet Silke Lange, dass dies nicht üblich sei – oftmals gäbe es noch nicht mal Verträge. Aus diesem Grund hätten die meisten aus dem Ensemble die 5000 € Soforthilfe beantragt und auch bekommen. Ihr Glück ist, dass sie dieses Jahr noch eine Basisförderung vom Berliner Senat bekommen, mit der sie die Ausgaben für ihren Probenraum bezahlen können. „Aber für jedes geförderte Projekt muss man neu anfragen und klären, inwieweit sich die Förderungen verschieben oder flexibel handhaben lassen.“
Ich will wissen, ob und wie sich ihre Arbeit verlagert hat? Silke Lange erzählt, dass sie trotz des Lockdowns super viel zu tun gehabt hätten. Neben den organisatorischen Aufgaben und (Termin-)Umdisponierungen war sie zusammen mit Ruth Velten als Leiterinnen des Ensembles viel damit beschäftigt, Projekte und Konzepte zu entwickeln. Sie hätten die Zeit zudem für Dinge genutzt, die liegen geblieben waren. „Zum Beispiel haben wir Aufnahmen für eine neue CD gemacht, als das wieder möglich war. Das war ein schöner, kreativer Prozess im Studio. Der Vorteil als Künstlerin ist ja, dass einem nie langweilig wird und es immer etwas zu tun gibt.“ Und sie ergänzt, dass es schon ein sehr schwankender Gemütszustand gewesen sei, in dem sie sich befunden hätten, denn systemrelevant sei man in dieser Zeit nicht gewesen.
„Gibt es eine Interessenvertretung für Musiker*innen, die euch in dieser Zeit zur Seite gestanden hat?“ frage ich nach. „Ja, wir sind Mitglied in der Initiative Neue Musik, die sind für uns im Austausch mit der Politik und Teil vom Dachverband für Musik, der tatsächlich DACH Musik heißt und die gesamte freie Szene vertritt. Aber immerhin sind neue Förderprogramme entwickelt worden, die auf die aktuelle Situation angepasst sind und auf die wir uns auch beworben haben.“
„Wann wird es wieder losgehen mit ‚richtigen‘ Konzerten?“
„Im September. Mal schauen wie das wird.“