„Mehr Zeit für meine queere Community“
Anruf bei Heather Purcell, die Workshops für Kinder und Jugendliche für die MiK-Jungendkunstschule, die Volkshochschule und den Projektraum bi‘bak in Mitte anbietet. Parallel dazu ist sie Teil eines queeren Kollektivs Lecken, das normalerweise Clubnächte veranstaltet und nun umdisponieren musste.
„Ich mache viele verschiedene Sachen, aber in der Woche, in der alles runtergefahren wurde, war plötzlich keine Arbeit mehr da. Ich hatte damit gerechnet, dass die Kurse längerfristig ausfallen, deswegen war es auch eine sehr unsichere Zeit. Glücklicherweise habe ich am Anfang für einige ausgefallene Workshops Ausfallhonorare bekommen. Jetzt läuft es langsam wieder an – die Jugendkunstschule hat zum Beispiel seit dem 18. Mai wieder geöffnet. Dort biete ich in den Ferien eine Video-Werkstatt an. Hinzu kommt ein Ferienworkshop in Kooperation mit bi’bak Der Tiger kommt zu Tisch, bei dem wir verschiedene Exkursionen geplant haben und mit den Kindern Tiere zeichnen wollen. Ich habe das Gefühl, die Kinder sind froh über Abwechslung, denn einige sind unterstimuliert. Aber es ist herausfordernd die Abstandsregelungen einzuhalten, besonders für die Jüngeren. Es ist komisch, wenn sie dir nicht ins Gesicht gucken können, weil du eine Maske trägst. Mir ist es auch immer wichtig, dass die Kinder gemeinsam arbeiten, statt wie so oft alleine vor ihrem Handy zu sitzen. Das wird jetzt schwieriger. Auch dass die Gruppen jetzt kleiner sind, ist einerseits gut, weil es intimer ist, anderseits fehlt mir die Gruppendynamik – mit fünf Kindern kannst du nicht so gut Fußballspielen wie mit elf.“
„Wie schaust du in die Zukunft?“
„Keiner weiß, wie es weitergeht. Die mediale Arbeit mit Kindern hat an Bedeutung gewonnen, so dass ich da ganz optimistisch bin. Aber ich mache mir Sorgen um die Freund*innen von mir, die als DJ oder Tänzer*innen arbeiten, denn ihnen fallen langfristig die Einnahmen weg. Einige von ihnen haben angefangen sich nach neuen Jobs umzuschauen.
Aber der Lockdown hatte auch Vorteile. Plötzlich hatte ich Zeit. Während ich normalerweise vor lauter Hektik nicht zum Denken komme, war nun mehr Raum für das Kollektiv da. Statt sich einmal im Monat zu treffen, haben wir uns fast jede Woche gesehen und überlegt, wie wir unsere Arbeit transformieren und an die Situation anpassen können. Wir haben nach Orten im öffentlichen Raum gesucht, an denen wir unter Social-Distancing-Bedingungen zusammen kommen können und waren zum Beispiel auf dem Tempelhofer Feld oder in der Königsheide. Wir haben verschiedene Formate ausprobiert wie Rave Fitness (hierbei spielt eine DJ Musik und wir machen Shadow-Boxing dazu), oder „a walk on a beat” (eine Mischung aus Dancing und Walking), das Maria Scaroni entwickelt hat. Ich hatte das Gefühl, dass Bewegung gut tut, genauso wie das in Gemeinschaft sein.
Ravefitness, Foto: MR HOTSOE
Parallel dazu haben wir uns gefragt, wie wir die Gemeinschaft unter diesen Bedingungen unterstützen können. Dabei ging es auch um die Frage, wie man anderen helfen kann, ohne selber einen Burn-Out zu bekommen.“
„Wie ist es bei dir finanziell gelaufen? Hast du die Corona-Soforthilfe beantragt?“
„Ja, und auch die meisten anderen aus unserem Kollektiv, weil die Einnahmen aus den Clubnächten weggefallen sind .Wenn ich das Geld nicht bekommen hätte, wüßte ich nicht, wie ich über die Runden gekommen wäre.“
„Dass du nichts mehr planen kannst, ist anstrengend“
Besuch bei Kurt-Kurt in Moabit, einem Projektraum im Geburtshaus von Kurt Tucholsky. Pfelder, einer der Betreiber (zusammen mit Simone Zaugg), erwartet mich. Am 18. Juni eröffnete eine Ausstellung von Marco P. Schaefer mit Papierarbeiten, die bei einem sechs-wöchigen Aufenthalt vor Ort– also während des Lockdowns – entstanden sind.
Blick durch das Schaufenster von Kurt-Kurt mit Arbeiten von Marco P. Schaefer, Foto: Pfelder
„Als der Lockdown kam, lief gerade eine Ausstellung, die zum Ende hin abgebrochen wurde, so dass die Finissage und einige Veranstaltungen ausfielen. Weitere Planungen waren erst mal total schwierig, und auch die restliche Jahresplanung, die wir sonst relativ früh machen, ist zusammengefallen. Da war es ein Glücksfall, dass Marco übernommen hat und aus der Schwierigkeit etwas Gutes gemacht hat. Wir waren sehr froh, dass wir wieder etwas Analoges entwickeln konnten und wir uns zur Eröffnung nach so langer Zeit wieder gesehen haben. Es fühlte sich gut an wieder etwas Konkretes an den Wänden hängen zu haben, denn ich fand es problematisch, dass während des Lockdowns zwar jeden Tag etwas über das Internet kam, doch das meiste nicht dafür gemacht war. Dass das einfach dort reingestellt wurde und meistens umsonst waren, fand ich eine schwierige Tendenz.“
Auf einem Tisch liegen Postkarten und Texte aus. Am Ende des Ausstellungstextes steht der Hinweis, dass der Besuch der Ausstellungsräume nur mit Mundschutz und nach den gültigen Hygiene- und Abstandregeln möglich ist, daneben liegt ein Blatt mit den Corona-Bestimmungen. Ich frage Pfelder, wie er und Simone Zaugg mit den Auflagen umgegangen sind und ob die deshalb verunsichert waren.
„Ja klar, weil sich das permanent ändert. Erst war eine Weile unklar, ob man überhaupt wieder eröffnen kann, dann wussten wir nicht, wie wir als Projektraum behandelt werden – gelten wir als Gastronomie oder als Veranstaltungsort? Überhaupt rauszukriegen, wie die aktuellen Vorgaben sind, war ein Unterfangen! Wir haben überall recherchiert, aber es ist nach wie vor nicht ganz klar. Wir haben uns dann ein Konzept überlegt, das wir vertretbar fanden: Es konnten immer sechs Personen mit Masken in die Räume; jeder musste seinen Namen auf einen Zettel schreiben, der einzeln verwahrt wurde, und drei Wochen nach der Eröffnung vernichtet wurde. Jetzt hoffen wir, dass wir geöffnet bleiben können, denn wer weiß schon was kommt. Dass du nichts mehr planen kannst, ist anstrengend.“
Wir stehen gemeinsam vor den Arbeiten von Marco P. Schaefer und Pfelder kommentiert: „Gerade in dieser Zeit funktionieren die gut – weil der Künstler viel Zeit hatte, sie für diesen Ort zu machen, und weil in den Arbeiten so eine unglaublich positive Energie drin ist, die gut tut nach dem Lockdown.“ Besonders über die Arbeit im Schaufenster freut er sich. Sie war relativ früh fertig und hing schon als die Ausstellung noch nicht eröffnet war: „Das ist für uns natürlich toll, wenn von außen ersichtlich ist, das hier etwas passiert. Die Leute finden das super.“
Auch die nächste Ausstellung wird einen Corona-Bezug haben, erzählt Pfelder zum Schluss und schickt mir den Text zur Gruppenausstellung Sleep is overrated, die am 28.August eröffnen wird. Die Künstler*innen stellen darin „der momentanen Situation zwischen unüberschaubarem Dschungel an Regeln oder der Flucht in gestreamte, digitale Welten ihre real erlebbaren Kunstwerke entgegen. Es ist zu hoffen, dass die Kunst – im dreidimensionalen Raum erlebt und in einer selbstgewählten Zeitdauer rezipiert – ansteckend ist und das Publikum immer wieder von Neuem infiziert. Natürlich nach allen Regeln der Ende August geltenden Corona-Vorschriften.“ Man darf gespannt sein!
„Between Bridges ist völlig ausgelastet“
Ich schreibe eine E-Mail an Between Bridges, einen umtriebiger wie politischer Projektraum in der Keithstraße unter der Leitung von Wolfgang Tillmans. Bedauerlicherweise hat der Projektraum 2019 seine Aktivitäten eingestellt bzw. seine Schwerpunkt auf die gleichnamige Stiftung zur Förderung der Demokratie, des interkulturellen Dialogs, der Künste und LGBT-Rechte verschoben. Zur Corona-Zeit hat diese das 2020Solidarity Projekt initiiert, eine Solidaraktion für Kultur- und Musikorte, Sozialprojekte, unabhängige Räume und Publikationen in der ganzen Welt. Die Idee: „Über fünfzig internationale Künstler*innen kommen zusammen, um jede*r ein Poster zu gestalten, das auf verschiedenen Crowdfunding-Kampagnen als Dankeschöns für Spenden angeboten werden kann.“ Mit dabei sind international bekannte Künstler*innen wie Marlene Dumas und Nan Goldin, Jeff Koons und Anne Imhoff. „Die Poster sind gegen eine Spende über 50 Euro erhältlich. Die Auflage ist nicht limitiert, sie werden aber jeweils nur für einen begrenzten Zeitraum verfügbar sein. Bitte spendet nach Möglichkeit an Organisationen in Eurer Nähe, um lokale Kampagnen zu unterstützen und Versandkosten zu sparen.“ Die Anfrage ist so groß, dass Between Bridges momentan leider keine Interviews oder Statements zur Verfügung stellen kann“, wie es in einer Mail heißt. Schade für uns, aber gut für die Aktion, die in Berlin unter anderem Veranstaltungsorte wie das Acud, Magazine wie die Siegessäule und ExBerliner und Clubs wie die Palomabar unterstützt.
Screenshot der Webseite Between Bridges
„Die Abläufe des Ausstellungsbetriebes sind gravierend eingeschränkt“
Besuch in der Galerie Wedding. Hier wird seit dem 11. Juni die Ausstellung Gift des Künstlers Julian Irlinger gezeigt, die sich einer deutsch-deutschen Familien- und Hausbesitzgeschichte widmet. Zu sehen sind Originaldokumente und Fotografien, die direkt an die Wände angebracht sind. An der Eingangstür wird man auf die aktuellen Corona-Regeln hingewiesen, denen zu Folge man eine Maske tragen muss und sich nur fünf Besucher*innen in der Galerie aufhalten dürfen. Noch ein weiterer Zettel hängt dort, dessen Inhalt man erst beim Betreten der Ausstellung in seinem vollen Ausmaß versteht. Dort heißt es, dass das Amt für Soziales zurzeit für den Besucherverkehr geschlossen ist, dass aber eine Notsprechstunde in den Räumen der Bezirksgalerie angeboten wird. Betritt man den großen Ausstellungsraum befinden sich dort tatsächlich Empfangstresen und ein provisorischer Wartebereich inkl. Stühlen und Desinfektionsständer.
Ansicht des Ausstellungsraums inklusive Wartebereich, Foto: Anna-Lena Wenzel
Im Ausstellungsflyer ist ein Gespräch zwischen dem Künstler Julian Irlinger und dem Kurator der Ausstellung, Jan Tappe, abgedruckt, in dem die Corona bedingten Einschränkungen thematisiert werden. Darin heißt es: „Im Rahmen des Pandemieplans des Sozialamts ist die Galerie als Wartebereich, Frontdesk und Aufrufbereich umfunktioniert worden. Nun werden in der Galerie während der regulären Öffnungszeit von 9 bis 11 Uhr Härtefälle bearbeitet und Personen beraten und unterstützt, die gegenwärtig durch staatliche Raster fallen.“ Der Künstler reagiert bemerkenswert solidarisch auf diese veränderten Umstände, wenn er sagt, dass es sich „nicht richtig anfühlen [würde], die Tür zum Sozialamt zu schließen oder die Ausstellung zu verlegen.“ Zwischenzeitlich ist klargeworden, dass das Sozialamt auch nach dem Lockdown hier bleiben wird. Was das für den Kunstraum bedeutet, ist noch nicht abzusehen. Ist alles Kunst oder alles beinharte Wirklichkeit? Der Arbeitskreis der Kommunalen Berliner Galerien spricht jedenfalls von einem „großen Schaden“ an der Kultur und hat einen dringlichen Appell an den Bezirksbürgermeister gerichtet. Auch die Kurator*innen und Künstler*innen des DAAD, die das nächste Ausstellungsprojekt And that Song is our Amulet vorbereiten, das am 6. August eröffnet wird, werden unmittelbar auf die Situation reagieren und den Raum mit ihren Arbeiten zurückerobern. In einem Statement erläutern sie ihren Ansatz: “Indem wir den aktuellen und allgemeinen Ausnahmezustand ansprechen, der sich auf der MIkroebene in der erzwungenen Fusion aus Galerie Wedding und Sozialamt zeigt, wollen wir auf die Dringlichkeit der folgenden Fragen hinweisen: Gibt es notwendigerweise einen Widerspruch zwischen Sozialstaat oder Wohlfahrtsstaat und zeitgenössischer Kunst?”