Anna-Lena Wenzel

Dr. Anna-Lena Wenzel* ist Autorin und Künstlerin. Nach ihrem Studium der Angewandten Kulturwissenschaften in Lüneburg promovierte sie über „Grenzüberschreitungen in der Gegenwartskunst“. Sie betreibt das Online-Magazin 99 % Urban und den Radiosalon für Alltägliches und ist in unterschiedlichen kollektiven Zusammenhängen unterwegs.

Wie läuft es (nicht) mit Corona?

02.06.2020
Sceenshot der Webseite des Theaterdiscounters

Ein Blick auf die Kulturarbeitenden hinter den Kulissen: Wie haben die Kulturschaffenden, diejenigen, die Kultur ermöglichen und vermitteln, die Schließung ihrer Arbeitsorte erlebt, wie ist ihre aktuelle (finanzielle) Situation und wie sind die Aussichten? Im Gespräch mit einer Kunstvermittlerin, einer Bühnenbildnerin, dem künstlerischen Leiter eines Theaters und einem Clubbetreiber.

 „Keine Jobs ins Aussicht“

Anruf bei einer freiberuflichen Kunstvermittlerin, die für verschiedene Institutionen wie staatliche Museen und kleinere Kunstvereine arbeitet und lieber anonym bleiben will.

„Bei mir ist kein Job in Sicht, wahrscheinlich wird es das ganze Jahr keine Aufträge mehr geben, weil keine Führungen angeboten werden, keine Veranstaltungen stattfinden, die Sommerkurse für Schüler*innen ausfallen. Zwar habe ich die 5000 € Soforthilfe beantragt und auch bekommen, aber wenn das Geld aufgebraucht ist, weiß ich nicht, wie es weitergehen wird, es gibt auch keine Ausfallhonorare für die bereits geplanten Projekte. Ich nutze die Zeit, um Inhalte nachzuarbeiten und mich weiterzubilden, aber es kommen immer wieder Momente, in denen ich sehr frustriert bin.“ Die Kunstvermittlerin bedrücken nicht nur die mangelnden Perspektiven, sondern auch der Umgang ihrer Arbeitgeber mit „freien“ Mitarbeiter*innen wie ihr. Während kleinere Institutionen sich immerhin Gedanken gemacht hätten, wie man die Lücke mit alternativen Aufträgen füllen könne, hätte bei den großen kaum Mit-denken stattgefunden, obwohl man schon so lange zusammen arbeitet. Oft fehle für ausgefeiltere Online-Angebote jedoch (noch) die nötige Infrastruktur. Zusätzlich zu den mangelnden Aufträgen fehle ihr die Wertschätzung. Wie viel ist eine Arbeit wert, die in diesen Zeiten komplett heruntergefahren wird? Das Problem verschärft sich auch, weil es bei den Kulturvermittler*innen keine Interessenvertretung gibt, die sich in dieser Situation für sie eingesetzt hätte. „Noch nicht! Wir sind gerade dabei einen Verband zu gründen“, ergänzt sie, um stärker auf die Lage der Kulturvermittler*innen aufmerksam zu machen.

„Bedrohlich – aber auch spannend“

Anruf bei Reimund Spitzer, einer der beiden Betreiber des Clubs Golden Gate bei der Jannowitzbrücke. „Wir haben am 13. März aus den Medien erfahren, dass für Berlin eine Regelung beschlossen wurde, dass ab dem 17. März Clubs nicht mehr geöffnet sein dürfen; am Samstag ging dann die Meldung rum, dass diese Regelung ab sofort gilt, so dass wir den Club sofort geschlossen. Da war ziemlich Druck, weil klar war, dass sich der Virus gerade in den Clubs verbreitet hatte, und das wollten wir nicht verantworten. Man musste dann ziemlich schnell den Modus ändern, das heißt wir haben Wertgegenstände und verderbliche Lebensmittel aus dem Club geholt, den Mini-Jobbern Beschied gegeben und die restlichen Angestellten in Kurzarbeit geschickt – bis auf den Steuerberater, der zusammen mit der Geschäftsführerin den Personalkram erledigt. Wir haben hier ja fast 50 Mitarbeitende, die wir jetzt umdisponieren müssen!

Weil wir kaum finanzielle Reserven haben, haben wir uns auch sofort um die Hilfsangebote gekümmert, die ja verhältnismäßig schnell aufgelegt worden sind, und haben 15.000 € bei der IBB beantragt und auch bekommen. Letzte Woche haben wir uns für die Corona Soforthilfe IV beworben, das Hilfen bis zum Ende des Jahres beinhaltet. Wenn das klappt, würde vieles einfacher werden, denn ich gehe mal davon aus, dass die Clubs als letztes wieder öffnen werden, weil es einfach keinen Sinn macht, den Betrieb mit Sicherheitsabstand und Hygieneregeln wieder zu eröffnen (zumindest überall dort, wo bespielbare Außenflächen fehlen, also auch und insbesondere bei uns). Wenn nicht, dann werden wir uns für Hilfs-Paket V bewerben.“

Wie kommt man mit der Unsicherheit klar, will ich wissen, und Spitzer antwortet, dass es mental eine Herausforderung sei. Aber er versuche es so positiv wie möglich zu sehen. Die Arbeit verlagere sich: Neben dem „Papierkrieg“ kümmere man sich jetzt zum Beispiel um ein wöchentlich stattfindendes Club-Streaming, das jeden Donnerstag live bei Facebook gesendet und dann auf dem YouTube-Kanal des Clubs aufrufbar abgelegt wird. Ein Streaming war bereits Teil von United We Stream. Weil sowohl UWS als auch das Golden Gate dazu aufgerufen haben für den Club zu spenden, frage ich, ob es Resonanz gab: „Ja, durchaus. Ein Grund, weshalb ich relativ entspannt und guter Dinge bin, fußt auf der Erfahrung der für mich überraschend großen Spendenbereitschaft. Das gibt mir ein Gefühl von Gemeinsamkeit und Solidarität, das mich bewegt und anspornt und mir gleichzeitig Zuversicht gibt. Wenn ich das mal so pathetisch ausdrücken darf.“

Hinzu kommt: Weil die Politik in Berlin mittlerweile verstanden habe, wie wichtig die Clubkultur für die Stadt sei und daher ein Interesse daran habe, diese Struktur zu unterstützen, ist Spitzer optimistisch, was die Frage betrifft, ob es den Club nach Corona noch geben wird. „Da ernten wir als Berliner Clublandschaft insgesamt gerade die Früchte, die nicht zuletzt die Clubcommission [der Verband der Berliner Club-, Party- und Kulturereignisveranstalter e.V.], durch ihre ‚Lobbyarbeit‘ in den letzten Jahren gesät haben.“ Für ihn persönlich böte die Situation zudem die Chance, Dinge aus den Schubladen zu holen, die dort schon lange lägen, wie zum Beispiel die Idee ein Buch mit den Newslettern und Flyern der vergangenen Jahre zusammenzustellen.

„Wir sind in einer sehr ungemütlichen Warteschleife“

Anruf bei Georg Scharegg, künstlerischer Leiter und Geschäftsführer des Theaterdiscounters in der Klosterstraße 44.

Der Theaterdiscounter ist zurzeit in einer doppelten Zwangslage: Abgesehen von der Corona-bedingten Schließung und Aussetzung des Programms, wurde ihnen am 1. Mai von den neuen Eigentümern der Immobilie gekündigt. Falls sich keine anderweitige Lösung findet, muss der Theaterbetrieb bis zum 31. August die Räume verlassen. Georg Scharegg hat deshalb alle Hände voll zu tun. „Nach der plötzlichen Schließung sind wir damit beschäftigt gewesen, auf die Situation zu reagieren und neue Spiel- und Wirtschaftspläne zu erstellen, Anträge zu schreiben und Lösungen für die Mitarbeitenden zu finden. Es war eine seltsame Situation: obwohl wir keinen Spielbetrieb hatten, arbeiteten wir unter Hochdruck. Momentan erarbeiten wir Konzepte für die voraussichtliche Wiederaufnahme des Spielbetriebes Anfang September, das heißt wir entwickeln Bestuhlungskonzepte und finden Lösungen für die Einlasssituation, um die Auflagen einzuhalten. Das macht nicht so viel Freude. Ähnlich ist es beim Durchdenken von digitalen Ausweichformaten.“ Zwar könnten da neue, interessante Dinge entstehen, aber grundsätzlich sei er skeptisch, da er die körperliche Anwesenheit für die Grunddefinition und -voraussetzung von Theater hält: „Gerade jetzt merken wir alle, wie wenig sich das digital ersetzen lässt.“

Die zweite „Baustelle“, die viel Unsicherheit bringt, und mit einem erheblichen Kommunikationsaufwand einhergeht, ist die ungewisse Mietsituation. Es gäbe zwar Gespräche mit Vertretern der neuen Eigentümer über eine Verlängerung, doch seien diese noch nicht in trockenen Tüchern. Je länger sich das hinziehe, desto dringender würde die Suche nach Ausweichmöglichkeiten, falls die Gespräche doch scheitern und es bei der Kündigung bleibt. Scharegg will dies unbedingt vermeiden: „Wir wollen hier bleiben und Teil des zukünftigen Kulturbandes werden, das für den Molkenmarkt in Planung ist und eines Tages die Alte Münze mit dem Haus der Statistik verbindet. Der zukünftige Molkenmarkt darf nicht der maßlosen Immobilienspekulation überlassen werden, die die gewachsenen Strukturen zerstört. Da das Gebäude unter Bestandsschutz steht und in die umliegende Landesplanung integriert werden muss, sind wir verhalten optimistisch, dass wir doch noch eine gewisse Zeit weiterarbeiten können.“ Das Problem sei, dass es nicht mehr viele Räume in zentraler Lage gäbe. „Aber wenn wir aus unserem angestammten Umfeld in die Peripherie vertrieben werden, sehe ich für die Zukunft des TD schwarz.“

„Glück im Unglück“

Anruf bei Jelka Plate, Bühnen- und Kostümbildnerin, die für freie Produktionen arbeitet. Am 20. März sollte eigentlich die Premiere des Stückes Immer ich in der Reihe La dernière Crise – Frauen am Rande der Komik von Vanessa Stern in den Sophiensälen stattfinden, wurde dann aber Corona-bedingt abgesagt und ist nun auf unbestimmt verschoben. Ein weiteres Stück, das am 1. April im Thikwa Theater hätte uraufgeführt werden sollen, wurde sogar auf das Jahr 2021 verlegt. Dafür wird ab Juni im Festsaal der Sophiensäle die neue Produktion Sleeping beauties, sleeping duties geprobt, allerdings unter erschwerten Bedingungen. Das größte Problem sei die ungelöste Kinderbetreuung, da es im Team sowohl Schul- als auch Kitakinder gebe. Herausfordernd seien auch die vielen Bestimmungen, die es einzuhalten gelte. Da hätten sie noch Glück im Unglück, weil ihr Team nur aus vier Schauspieler*innen bestehen würde, so dass sie die erlaubte Anzahl von 8 Probenden nicht überschreiten werden. Auch könnten sie erstmal mit gemeinsamem Lesen beginnen, wobei es einfacher ist, die Abstände einzuhalten als bei Spielproben.

Im Team hätte es viel Austausch darüber gegeben, wie man mit der unsicheren Situation umgeht, weil erstens nicht klar ist, wann der Theaterbetrieb wieder aufgenommen wird und unter welchen Bedingungen er dann stattfindet. Wie kann man den Raum so gestalten, dass die Sicherheitsabstände eingehalten werden können, aber trotzdem ein Gefühl von Miteinander entsteht? Wie geht man damit um, dass mit der kleineren Zuschauermenge auch die Resonanz für die Schauspieler*innen weniger wird? Plate erzählt, dass sie die Pläne eine zusätzliche Performerin einzustellen, verworfen hätten, weil sie stärker mit filmischen Mitteln arbeiten wollen, eine theatrale Filmsituation würde besser in diese Zeit passen und das Abstandwahren erleichtern. Sie ergänzt: „Die aktuelle Situation wird auf jeden Fall in das Stück einfließen“. Die Frage, ob sie auch die 5000 € Soforthilfe in Anspruch genommen hätte, verneint sie. Sie hätte von beiden Häusern anteilig bereits ihre Honorare ausgezahlt bekommen, so dass sie sich finanziell nicht bedroht gefühlt hätte. Zum Ende verweist sie auf den Bund der Szenografen als Interessenvertretung für Bühnen-, Kostüm- und Maskenbildner*innen und den LAFT, den Landesverband freie darstellende Künste Berlin e.V., die unter anderem Informations-Veranstaltung zum Umgang mit Corona anbieten.

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