Maike Brülls

Maike Brülls arbeitet als Journalistin in Berlin. Sie hat Kulturjournalismus studiert. Ihre Texte sind unter anderem in der taz, bei VICE, ZEIT Online, DUMMY und MISSY erschienen. Außerdem arbeitet sie an Videos für verschiedene Formate des funk-Netzwerks.

„Wir wollen den Kontext der iranischen Musik- und Kunstszene entmystifizieren“

10.12.2018
Gate-of-Tehran-Header

Drei Tage lang nimmt einen das Festival „Gate of Theran“ mit auf eine Reise in den musikalischen Iran. Ein Gespräch mit den Organisatoren Behrooz Moosavi und Peter Pirhosseinlou.

Hand auf’s Herz: Bei den Stichworten „Musik“ und „Iran“ kommen dem*der Konsument*in westlicher Medien schnell Assoziationen von Repression, Verhaftungen und mangelnder Freiheit in den Sinn. Liest man immerhin oft entsprechende post, sieht die Bilder im Fernsehen. Aber wie stellt sich die Musikszene im Iran wirklich dar? Und – noch viel wichtiger: Wie klingt sie? Das wollen die Organisator*innen des dreitägigen Festivals „Gate of Teheran“, das vom 14. bis zum 16. Dezember im silent green Kulturquartier stattfindet, erfahrbar machen.

Organisiert wird es von House No. 4, einem unabhängigen Künstler*innen-Kollektiv aus Teheran, das 2013 von dem Teheraner Musiker Peter Pirhosseinlou gegründet wurde. Bereits viermal hat House No. 4 das mehrtägige Festival „Days of Experimental Sound (D.O.E.S.)“ organisiert. Nun wollen sie es nach Berlin bringen. Wir haben vorab mit dem Gründer von House No. 4, Peter Pirhosseinlou, und dem Manager des Berliner Festivals, Behrooz Moosavi, gesprochen.

Behrooz Moosavi und Peter Pirhosseinlou, Sie organisieren das „Gate of Tehran“, ein Festival für experimentelle Musik aus dem Iran. Im November gab es das Opernfestival „Female Voice of Iran“, ebenfalls in Berlin. Ist das ein Zufall oder hat Berlin eine besondere Bedeutung für Musiker*innen aus dem Iran?
Behrooz Moosavi: Natürlich war das ein Zufall, da hinter den beiden Veranstaltungen nicht dieselben Organisator*innen stehen. Aber ich würde sagen, dass Berlin zumindest in Europa als die Hauptstadt der Musik und Kunst gilt, und das zieht natürlich viele Künstler*innen, Musiker*innen und Kreative aus der ganzen Welt an, entweder hierher zu ziehen oder ihre Arbeiten hier zu präsentieren. Für iranische Künstler*innen gilt das genauso. Wir verfolgen seit jeher das Geschehen in Berlin und sind inspiriert von der Stadt und ihren zeitgenössischen Musik- und Kunstströmungen.
Peter Pirhosseinlou: Ich muss hinzufügen, dass seit gut zehn Jahren die Beziehung zwischen den Deutschen und den Iraner*innen, auch zwischen ihren Regierungen, sehr gut ist, insbesondere auf kultureller Ebene. Es gab schon immer viele Programme des interkulturellen Austauschs, sowohl im Iran mit deutschen Künstler*innen als auch in Deutschland mit iranischen Künstler*innen. Das war für uns und unser Kollektiv House No. 4 hilfreich. Wir konnten durch unsere vielen gemeinsamen Projekte zum einen ein gutes Netzwerk iranischer und nicht-iranischer Künstler*innen in Deutschland aufbauen und zum anderen gute Beziehungen zur Deutschen Botschaft in Teheran etablieren.

Die Künstler*innen Ihres Festivals sind sehr unterschiedlich: von der Jazzformation Golnar & Mahan über elektronische Tracks von Elemaun bis hin zu Klanginstallationen mit dem Klang des Wassers von Saba Alizadeh. Nach welchen Kriterien haben Sie die Musiker*innen ausgewählt?
Peter Pirhosseinlou: Die wichtigsten Faktoren, die wir im Hinterkopf hatten, waren, dass die Musiker*innen unabhängig sind und experimentell arbeiten. Und das ist es, was wir in Teheran im Laufe der Jahre zu schaffen versucht haben. Ein Festival, das den zeitgenössischen, unabhängigen und experimentellen Musiker*innen und Künstler*innen in Teheran eine Stimme gibt.
Behrooz Moosavi: Da die Hauptidee der Veranstaltung darin bestand, einen Teil der zeitgenössischen Klänge Teherans zu präsentieren, haben wir von Anfang an versucht, nicht zu sehr nach unserem persönlichen Geschmack zu gehen, sondern ein kleines Bild, einen Rahmen, wenn Sie so wollen, zu schaffen, um einen Teil der heutigen zeitgenössischen Musik- und Kunstszene des Iran und insbesondere Teherans so zu repräsentieren, wie sie wirklich ist. Das bedeutet, dass wir für die vielen Stimmen, verschiedenen Szenen, Stile und Bewegungen in Iran hier einen Raum schaffen wollen, soweit wie das uns eben in dieser kurzen Zeit möglich ist. Wir wollten die drei Tage nicht ausschließlich mit experimentellen elektronischen Klängen, Jazz oder anderen Genres verbringen. Das, was sich das Publikum von diesen drei Tagen erwarten kann, ist ein Bild davon zu bekommen, wie die unabhängige und experimentelle Musikszene Teherans heutzutage teilweise klingt. Und noch einmal muss ich betonen, dass dies nur ein Bild des heutigen Teherans ist.

Welches Bild des musikalischen Irans möchten Sie also zeigen?
Behrooz Moosavi: Ich denke, es wäre falsch von uns, ein bestimmtes Bild des musikalischen Irans in unseren Köpfen zu haben und dann zu versuchen, es hier zu reproduzieren und als „das musikalische Iran“ in Berlin zu verallgemeinern; entsprechend Künstler*innen auswählen oder versuchen, diese Ideen, dieses Bild in die Medien zu bringen. Das ist es, was ich persönlich bei allen kulturellen Veranstaltungen verachte und vermeide, insbesondere wenn es sich um Themen handelt, die leicht mit Politik vermischt werden könnten, im positiven wie auch im negativen Sinne. Wir wären sehr egoistisch, wenn wir als Vertreter*innen aller Stimmen im Iran auftreten würden, oder versuchen würden, unser Publikum glauben zu lassen, dass das, was Sie sehen, der Iran ist, und wie wir klingen, das ist, wie der Iran klingt. Der beste Weg, das Festival zu präsentieren, wäre zu sagen, dass es nur ein weiteres Teil des Puzzles ist, das das westliche Publikum erhält, um einen besseren Überblick über das Gesamtbild des heutigen Iran zu bekommen. Nicht mehr, nicht weniger.

Sie schreiben in der Ankündigung, dass das Festival auch dem internationalen Austausch dient. Was sind Ihre Wünsche oder Ziele?
Peter Pirhosseinlou: Ich denke, man kann viel voneinander lernen und sich gegenseitig inspirieren. Viele Einflüsse unserer reichen Kultur im Iran und aus dem Osten finden sich bereits heute in den Werken einiger europäischer Künstler*innen und Musiker*innen. Für uns wäre es ein sehr herausfordernder und wichtiger Austausch, unsere Musik und Kunst auf einer europäischen Bühne zu präsentieren. Das könnte eine sehr anregende Veranstaltung für alle teilnehmenden Künstler*innen werden. Mein persönlicher Wunsch wäre, dass der Austausch beiden Seiten zugutekommt und die Köpfe und Ideen der beiden Nationen einander näher bringt.
Behrooz Moosavi: Lange Zeit hatte die Präsenz der Iraner*innen auf (vor allem) musikalischen Bühnen rund um die Welt etwas mit der politischen Situation und dem Image des Landes in der westlichen Welt zu tun. Unabhängig von den Gründen, warum das so ist, bekommt man den Eindruck, dass iranische Musiker*innen nicht wegen ihrer tatsächlichen musikalischen Qualität eingeladen werden, sondern zunächst aufgrund des Kontextes, indem sie leben. Das bedeutet, dass es bei dem Austausch immer eher um den Iran und seine Kultur geht, und der damit verbundenen Exotik. Oder schlimmer noch, politisch interessierte und aktive Menschen sie für ihre Interessen nutzen oder nur ihre eigene Korrektheit überprüfen und rechtfertigen und es vielmehr um ihr öffentliches Image. Es hat nur wenige Male ein echter musikalischer oder kultureller Austausch stattgefunden (vor allem bei Musikveranstaltungen), der den Musiker*innen und den musikalisch interessierten Menschen unter dem Publikum zugutekam.
Um es einfacher auszudrücken: Wir versuchen in diesen drei Tagen eine Gelegenheit zu schaffen, bei der Musiker*innen ihre Arbeit zeigen können. Ihnen hierfür eine Bühne zu geben, wo sie gehört, kritisiert, inspiriert, ja sogar beurteilt werden können, nach ihrer künstlerischen und musikalischen Qualität, anstatt nur dafür geschätzt zu werden, dass sie Iraner*innen sind oder man ihrer Lebenssituation wegen mitfühlt. Wenn wir das schaffen, wäre das der größte internationale Austausch, den wir erreichen könnten. Und auch für das deutsche Publikum. Wenn wir sie dazu bringen könnten, einmal einfach nur zuzuhören, ohne über die politische Stimmung rund um die Arbeit dieser Musiker*innen nachzudenken, und versuchen, sie einmal zu betrachten, wie Musiker*innen und nicht wie iranische Musiker*innen.

Ein paar Fragen möchte ich zu den unterschiedlichen politischen Gegebenheiten trotzdem stellen. Denn das musikalische Schaffen im Iran und in Deutschland ist ja ziemlich unterschiedlich. Hier gibt es fast keine Grenzen, im Iran drohen Verhaftungen. Wie wirkt sich das auf die Musik aus?
Behrooz Moosavi: Da muss ich dir widersprechen. Aus meiner Sicht kann ich, nachdem ich die Arbeit im Iran als Musiker und seit einiger Zeit auch in Deutschland erlebt habe, sagen, dass diese Grenzen sowohl in Deutschland als auch im Iran existieren, aber auf sehr unterschiedliche Art und Weise. Hier haben wir einen großen kapitalistischen Markt, der unserer Kreativität Grenzen setzt und uns Standards aufzwängt, wenn man erfolgreich sein will und Geld verdienen möchte. Im Iran gibt es eine Regierung mit religiösen Gesetzen, die dasselbe tut. Unterschiedliche Ideen und Welten, das Ergebnis ist dasselbe. Natürlich besteht im Iran die Gefahr verhaftet zu werden, wenn man darauf besteht, die Regierung zu sehr zu provozieren, aber besteht hier nicht die Gefahr, völlig zu verschwinden und als Musiker*in auf dem deutschen Musikmarkt isoliert zu werden, wenn man darauf besteht, Avantgarde-Musik zu produzieren, die keine Musikinstitution unterstützen wird? Natürlich gibt es das, und natürlich werden die deutschen Medien nicht so viel darüber sprechen, wie sie über die Mullahs sprechen wollen, die ein paar Musiker*innen im Iran verhaften. Ich denke, dass man von einem gleichen Effekt sprechen kann, nimmt man die Einschränkungen hier in Deutschland, die Musiker*innen haben, um dem Markt zu entsprechen, wie auch im Iran. Sie haben eine Untergrundszene als Widerstand gegen die Regeln des Marktes, und wir haben eine Undergroundszene als Widerstand gegen strenge religiöse Gesetze. Wieder andere Ideen, das Ergebnis ist dasselbe.
Peter Pirhosseinlou: Man kann sicherlich sagen, dass Grenzen Wege zu neuen kreativen Ideen eröffnen. Im Iran konzentrieren wir uns jetzt auf die Dinge, die wir tun könnten und wie wir das auf kreative Weise erreichen, anstatt über die Dinge nachzudenken, die uns nicht erlaubt sind. Und ich muss sagen, dass wir bisher viele der Dinge tun konnten, die wir wollten, zum Beispiel unsere Festivals. Kreativität findet ihren Weg, egal unter welchen Bedingungen.

Es stimmt, in deutschen Medien liest man über Musik im Iran häufig im Zusammenhang mit Verhaftungen. Sie sind mit House No. 4 ein unabhängiges Künstlerkollektiv, das auch ein mehrtägiges Festival organisiert. Wie würden Sie die Umstände für iranische Musiker*innen beschreiben?
Behrooz Moosavi: Nun, ich schätze, das größte Problem mit dem die Künstler*innen im Iran heute, besonders nach den Sanktionen der USA, konfrontiert sind, ist das finanzielle Überleben. Das ist nirgendwo anders auf der Welt. Ich glaube nicht, dass die Verhaftung wegen Musik ein Thema ist, mit dem sich alle Musiker*innen im Iran täglich oder sogar während ihrer gesamten Karriere beschäftigen. Es kommt sicherlich vor, aber es ist nicht so, wie es in den westlichen Medien dargestellt wird. Es sind vielmehr die fehlenden wirtschaftlichen Mechanismen, die es den Künstler*innen verunmöglicht, von ihrer Kreativität leben zu können, um das zu tun, was er tut. Betrachtet man die europäischen Bedingungen als die besten in der heutigen Welt, so schätze ich, dass die iranischen alternativen Jugendlichen nicht viel schlechter gestellt sind als die europäischen alternativen Jugendlichen. Es gibt Grenzen, hier wie dort, die Form ist eine andere.

Anfang des Jahres gab es Proteste. Auch die Musik spielte eine Rolle. Zum Beispiel hat der Musiker und Aktivist Shahin Najafi ein Protestlied auf Youtube veröffentlicht. Wie politisch ist das musikalische Schaffen im Iran?
Behrooz Moosavi: In Deutschland gibt es vielleicht mehr als ein paar Millionen aktive Bands und Musiker*innen. Darunter sind Bands wie Feine Sahne Fischfilet und viele andere vor allem in der Punk-Szene, die einen politischen Zugang zu ihrer Musik haben und es gibt viele, die das nicht haben. Will man wissen, ob es eine Welle wie die Hippie-Bewegung der USA in den 1960er und 1970er Jahren gibt, bei der die meisten Rockmusiker*innen über den Frieden singen und darüber, dass sich die USA aus Vietnam zurückziehen sollten, muss ich das verneinen. Die Musikproduktion im Iran ist in diesem Sinne nicht politisch und mehr oder weniger gleich wie in Deutschland.

Ist das Festival „Tor von Teheran“ politisch?
Behrooz Moosavi:
Wir haben nicht die Absicht, eine politische Stimme aus dem Iran zu sein. Ich verstehe, dass das, was wir tun, automatisch als ein Akt des politischen Ungehorsams oder Widerstandes wahrgenommen wird, aber wenn ich das westliche Publikum um eine Sache bitten möchte, dann ist es das, diesen Menschen einmal die Chance zu geben, sich ungeachtet des politischen Kontexts zu zeigen. Um ihre künstlerische und musikalische Qualität geht es, und nicht um den Kontext, aus dem sie kommen. Ich glaube, dass dieses Festival eine andere Sichtweise auf Teheran eröffnen kann. Eine Sichtweise von Menschen aus Teheran, und nicht die von Menschen aus dem Westen gewohnte. Ich glaube, dass dem deutschen Publikum wie auch der Musik- und Kunstszene Möglichkeiten fehlen, sich von so vielen dieser brillanten Künstler*innen inspirieren zu lassen und neue Dinge zu lernen. Eine Veranstaltung, ein Festival nach dem anderen konzentriert sich zu sehr auf die politische Situation im Iran, anstatt sich auf die musikalische und künstlerische Qualität dieser Menschen zu konzentrieren.

Jeden Tag werden wir mit den Künstler*innen über ihr künstlerisches Schaffen, ihre Ideen und Konzepte sprechen. Am dritten Tag gibt es dann eine Diskussion, bei der wir über genau diese Fragen diskutieren werden. Wir versuchen sie zu beantworten, indem wir den Kontext der iranischen Musik- und Kunstszene entmystifizieren und zu einem Nullpunkt bringen, wo wir endlich anfangen können, eine eigene Stimme zu haben, anstatt das, was uns gegeben wurde.

“Gate of Tehran – Days of Experimental Sounds”
14. Dezember um 14:00 bis 16. Dezember um 23:00

Informationen zum Festival auf Facebook.

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