Die galerie weisser elefant im zweiten Stock der Auguststraße 21 hat den Grundriss einer Wohnung, so dass der Ausstellungsort kleinteilig untergliedert ist und mit seiner Raufasertapete weiterhin an seine frühere Bestimmung erinnert. Die Künstler*innen Veronika Christine Dräxler und Patrick Alan Banfield machen diese spezielle Situation in ihrer Ausstellung produktiv. Sie verwandeln die Galerie in eine Privatwohnung mit Wohn-, Schlaf- und Arbeitszimmer und legen eine Fußmatte in den Eingang mit dem Spruch „Domestic Violence“. Der Kontrast zwischen heimeliger Privatheit und der Gewalt, die im Häuslichen lauert, zieht sich dabei durch die ganze Ausstellung.
Im Flur stehend blickt man zunächst auf einen kleinen Altar, inklusive Pärchenfoto, Plastikgrünpflanze und Kerze auf flauschigem Untergrund. Schon wenige Meter weiter bröckelt die Inszenierung. Man steht vor einer Wand, auf die Autos und Brüste, Penisse und Vulvas gemalt sind, als wenn es sich um eine Außenwand handeln würde, auf der Graffiti-Künstler*innen ihre (sexuell aufgeladenen) Botschaften hinterlassen haben.
Geht man in den Raum linkerhand erwartet einen ein drastischer Anblick: von der Decke baumeln Pistole, Messer und Hackbeil und im hinteren Teil ist der Umriss einer Leiche auf dem Boden gezeichnet inklusive Blutspritzer an der Heizung. Blaues Licht flackert auf und taucht alles in eine surreale wie aufgeladene Atmosphäre, die durch einen unbestimmten Sound noch verstärkt wird. Die angrenzenden Räume sind nicht weniger „unheimelig“: ein Zimmer gleicht einem Überwachungsraum, mit Bildschirmen und allerhand Recherchematerial. Gegenüber befindet sich die „Man Cave“, ein Raum für Freizeitbeschäftigung mit Fitnessgerät, Gaminglaptop und Virtual Reality-Stuhl. Könnte man diese Räume einem männlichen Bewohner zuordnen, ist das Wohnzimmer ein gemeinsamer Raum, der mit Kamin, Sofa, Fernseher und Esszimmertisch relativ klassisch daherkommt. Statt eines Kinderzimmers folgt nun jedoch eine Outdoor-Szenerie mit Hochständen, Rindenmulch auf dem Boden und tarnfarbenen Stoffen an den Wänden. Von hier geht es in den vorletzten Raum der Ausstellung, das Schlafzimmer, in dem sich das Jagdmotiv durch mehrere ausgestopfte Vögel und Tierfelle fortsetzt, die hier als Trophäen präsentiert werden. Insgesamt wirkt der Raum bieder und so, wie man sich ein adeliges Jägerinnenschlafzimmer vorstellt: mit grüner Tagesdecke und Schminktisch mit Kristallvase.
Allein diese Ausstattung (die immer wieder an Filmsets denken lässt und kollaborativ entstanden ist) wäre einen Ausstellungsbesuch wert, doch es gibt ja noch die künstlerischen Arbeiten, die Bestandteil des immersiven Settings sind. Da sind zum einen mehrere Filme von Patrick Alan Banfield, die in den Hochständen und auf den Monitoren in der „Man Cave“ zu sehen sind, und zwei Foto-Serien sowie mehrere Video-Performances von Veronika Christine Dräxler, die im Wohnzimmer und im Überwachungsraum an den Wänden hängen. Durch sie bekommt man einen Einblick in die verschiedenen Arbeitsweisen der beiden Künstler*innen, die Marcus Boxler, Kurator der Ausstellung, so zusammenfasst: „Performativität trifft Kinematographie, Objekt- trifft Medienkunst“. Dass es dabei einige Schnittstellen gibt, ist offensichtlich, so gut wie die einzelnen räumlichen Inszenierungen zusammen gehen, obwohl die beiden hier zum ersten Mal gemeinsam ausstellen. Am deutlichsten zeigt sich dies an der Arbeit „Dead Birds“, einer Wand mit toten Vögeln in fotografierter Form (Banfield) und in Form von präparierten Federn (Dräxler) sowie in den Camouflagemustern, für die beide ein Faible haben und die in der Ausstellung in den Ausführungen Tülle und Georgette zu bestaunen sind. Dass es mitunter schwer einzuschätzen ist, von wem die Arbeiten sind, liegt auch daran, dass die beiden zu ähnlichen Themen arbeiten. So beschäftigt sich Banfield mit toxischer Männlichkeit, während Dräxler sich mit Traumaerfahrungen und ungleichen Machtverhältnissen beschäftigt. In der Ausstellung legen sie diese Interessen übereinander, setzen sich gemeinsam mit Genderrollen, Gewalt und Kontrolle auseinander und zeigen unterschiedliche Arten von Machtausübung, sei es durch Überwachung oder direkt in Form physischer Gewalt.
Im Ankündigungstext wird noch eine weitere Ebene angesprochen, wenn von „Erzählungen von Übergriffen, emotionaler Erpressung und strukturellem Machtmissbrauch“ die Rede ist, die „Chapters of Violence“ zutage fördert. Es ist von Ungleichheit, misogynen Strukturen und Traumata die Rede, die sichtbar gemacht werden sollen. Was hier nicht konkret gemacht wird, benennen die Stefanie Remlinger, Bezirksbürgermeisterin und Doris Liebscher, Leiterin der Berliner LADG Ombudsstelle, in ihren Eröffnungsreden sowie der Kurator Marcus Boxler in seiner Führung: Als Veronika Christine Dräxler 2021 in der galerie weisser elefant die Solo-Ausstellung „Beuys, Rückruf: Dringend!“ realisierte, wurde sie vom damaligen Leiter der Galerie während der Ausstellungsvorbereitungen unter Druck gesetzt und manipuliert, es kam am Tag der Ausstellungseröffnung zu Handgreiflichkeiten.
Veronika Christine Dräxler hat diesen Vorfall nicht auf sich sitzen lassen. Sie hat sich an die Ombudsstelle des Bezirksamtes gewandt. Im Laufe des Prozesses traten ähnliche Erfahrungen von weiteren betroffene Frauen aus der Vergangenheit ins Licht, die ein wiederkehrendes Handlungsmuster des ehemaligen Galerieleiters erkennen ließen. Es gab einen Runden Tisch mit der Bezirksbürgermeisterin, der Ombudsstelle und Diversity Arts Culture und der zuständigen Fachbereichsleitung. Veronika Christine Dräxler selbst schlug im Rahmen dieses Gremiums vor, das nun vor Augen liegende Thema Machtmissbrauch in der Kunstwelt an genau diesem Ort erneut aufzugreifen – auch um einen Prozess der Katharsis und des proaktiven Überwindens solcher Zustände anzustoßen.
Bei der Konzeption der Ausstellung haben die Künstler*innen und der Kurator Marcus Boxler lange darüber diskutiert, ob die handelnden Personen namentlich benannt werden sollen oder nicht. Es soll genau nicht wie ein persönlicher Rachefeldzug wirken, sondern die strukturelle Ebene verschiedener Arten von Gewalt aufzeigen. „Es geht uns darum, häusliche und institutionelle Gewalt zu verhandeln“, sagt Veronika Christine Dräxler. In diesem Sinne ist die Ausstellung als Bestandsaufnahme zu verstehen – und geht in ihrer drastischen Darstellung weit über die Dimension des Vorfalls hinaus. Das bedeutet aber auch, dass es kaum Momente der „Fürsorge, Reparatur, Heilung“ gibt, wie sie in der gleichnamigen Ausstellung von Kader Attia im Martin Gropius Bau letztes Jahr versammelt wurden. Statt Empowerment-Strategien vorzustellen, steht auf dem Spiegel im Badezimmer der Spruch „Nimm doch Xanax“, flankiert von einer Versace-Tüte und einer Wohlfühl-Kerze. Im wörtlichen Sinne in the face wird hier darauf verwiesen, dass Fälle von Machtmissbrauch häufig bagatellisiert werden und ohne Konsequenzen bleiben. Nicht selten wird den Betroffenen mit Skepsis begegnet, die Schuldfrage verdreht und auf die Seite der Opfer verschoben. Dazu gehört auch, dass häufig unklar ist, an wen man sich wenden kann. Dräxler berichtet, dass sie lange das Gefühl hatte, nicht gehört zu werden – weil die Polizei nur sachliche Informationen aufgenommen hat und es in der Behörde schwierig war, die richtigen Ansprechpartner*innen zu finden.
Beim Gespräch mit ihr wird deutlich, wie diffizil die Angelegenheit ist. Wo fängt Macht an, missbräuchlich zu werden? Wo wird sie gewalttätig? Wie wird Gewalt ausgeübt und wie weit muss es gehen, dass psychische Gewalt beweislastig wird? Ist diese Form der Gewaltausübung geschlechtertypisch? Wie geht man damit um, dass etwas jahrzehntelang geduldet war und nun nicht mehr haltbar ist?
Die Debatte zeigt, wie erhitzt und komplex dieses Kampffeld momentan beackert wird. Es steht ja auch für beide Seiten viel auf dem Spiel, wenn strafrechtliche Schritte im Raum stehen. Dabei ist zu beobachten, dass sich bestehende Machtverhältnisse oft reproduzieren – sei es, weil es sich um eingespielte Netzwerke (z.B. zu Medienvertreter*innen) oder auch um Abhängigkeitsverhältnisse handelt. „Als Freiberuflerin ist man total ausgeliefert“, sagt Dräxler, „erstens, weil man immer denkt, es sei nur ein solitärer Vorfall, und zweitens, weil man nicht auf Strukturen wie Frauen- oder Diskriminierungsbeauftragte zurückgreifen kann.“ Dräxlers Beispiel jedoch zeigt, dass es auch anders gehen kann.
Der Verdienst der Ausstellung ist, dass sie für die oft prekären Arbeitsbedingungen von Kunstschaffenden und die komplexen Fragen rund um Machtmissbrauch und (rechtlichen) Grauzonen sensibilisiert, auch wenn sie dies eher implizit tut. So drastisch die Inszenierung dabei an einigen Stellen ist, gibt es jedoch auch immer wieder spielerische und selbstironische Momente, wie das Waschbrettbauch-Selbstporträt von Banfield oder die Katzenfoto-Edition von Dräxler. Offensichtlich ist jedenfalls, dass die Künstler*innen für diese Ausstellung enormen Aufwand betrieben haben. Und egal auf was man sich konzentriert – das immersive Setting, die künstlerischen Arbeiten oder der kritische Subtext – etwas wird hängenbleiben und nachwirken. Um die Ausstellung in ihrer Komplexität zu erfahren, empfiehlt es sich, an einer Kuratorenführung von Marcus Boxler teilzunehmen, der Hintergrundinfos liefert und diese mit Anekdoten aus der Aufbauzeit spickt.
Chapters of Violence: Power and Control
Veronika Christine Dräxler, Patrick Alan Banfield
Kuratiert von Marcus Boxler
17.02.2023 – 10.04.2023
Kuratorenführungen: 24. März um 18 Uhr und 8. April um 14 Uhr
galerie weisser elefant
Auguststraße 21, 10117 Berlin
Öffnungszeiten
Dienstag – Freitag 11 – 19 Uhr
Samstag 13 – 19 Uhr
Der Eintritt ist frei.