Maike Brülls

Maike Brülls arbeitet als Journalistin in Berlin. Sie hat Kulturjournalismus studiert. Ihre Texte sind unter anderem in der taz, bei VICE, ZEIT Online, DUMMY und MISSY erschienen. Außerdem arbeitet sie an Videos für verschiedene Formate des funk-Netzwerks.

Die Kunst der Rebellion

01.10.2019
Die Prozession der toten Bäume beim globalen Klimastreik. Foto: Extinction Rebellion
Die Prozession der toten Bäume beim globalen Klimastreik. Foto: Extinction Rebellion

Klimaprotest ist politisch, klar. Bei der Bewegung Extinction Rebellion spielt aber auch Kunst eine große Rolle. Warum?

Bei dem globalen Klimastreik am 20. September zog eine Prozession durch die Demoroute am Brandenburger Tor entlang. Menschen in schwarzer Kleidung und mit geschminkten Gesichtern trugen abgestorbene Bäume auf ihren Schulten, als trügen die Särge. “Ohne Wald kein Leben” steht auf einem Banner, das die erste Reihe der Menschen trägt. Ein Trauermarsch, eindrücklich und klar in der Symbolik.

Der Marsch war von Extinction Rebellion inszeniert, einer internationalen Protestbewegung, die gegen das Aussterben durch die Klimakrise rebelliert. Sie hat sich letztes Jahr in Großbritannien gegründet. Die Bewegung hat drei Forderungen: Dass die Regierungen und die Medien die Wahrheit über die Klimakrise sagen sollen. Dass die Regierungen so handeln soll, dass die vom Menschen verursachten Treibhausgas-Emissionen bis 2015 auf Netto-Null sinken. Und dass die Regierungen sogenannte Bürger*innenversammlungen schaffen, die notwendige Maßnahmen für Klimagerechtigkeit diskutieren und treffen.

Um die Dringlichkeit der Situation zu verdeutlichen, setzt Extinction Rebellion, was sich XR abkürzt, auf zivilen Ungehorsam. Das ist eine Form politischer Teilhabe, bei der bewusst gegen rechtliche Normen verstoßen wird. Die Strafe dafür wird in Kauf genommen, als Zeichen, wie dringlich einem der Grund für den Protest ist.

So blockierte XR in London für mehrere Tage den Stadtverkehr. In Berlin besetzten sie im April die Oberbaumbrücke und zum globalen Klimastreik den Potsdamer Platz. Bei dem Wort “Blockade” denkt man schnell an schwarz vermummte Menschen, die sich womöglich noch mit der Polizei anlegen. Dieses Bild stimmt für Extinction Rebellion aber nicht. Die Bewegung hat zehn Prinzipien, an die sie sich halten. Ein zentrales ist die absolute Gewaltfreiheit. Das heißt: Auch mit Polizist*innen, die sie wegtragen und die Blockade räumen, wird friedlich umgegangen.

Und: Die Blockaden und Proteste sind stets begleitet von Kunst. Das sind Performances wie das Vergießen von Kunstblut oder das Tragen von Särgen. Das ist das Malen von eigenen Plakaten oder Bedrucken von T-Shirts. Und das sind Protestsongs, die bei den Aktionen gesungen werden.

Doch wieso das alles? Ein Gespräch mit einer der Koordinator*innen und Bildhauerin.

Kultur Mitte: Welche Rolle spielt die Kunst bei Extinction Rebellion?

Nadine Rennert: Meiner Auffassung nach spielt Kunst eine große Rolle. Weil über die Kunst Bilder erzeugt werden, die die Menschen emotional ansprechen statt intellektuell. XR hat das erkannt. Und genauso tun es die Unterstützer von XR, die im Laufe der Zeit dazugekommen sind.

Warum ist Kunst für diesen Protest so wichtig?

Die Kunst ist wichtig, weil sie die Imagination anspricht. Wir leben ja eher in einer Welt, die sehr strukturiert ist, wo wir sehr stark intellektuell angesprochen werden. Aber wir Menschen sind ausgezeichnet durch unsere Vorstellungskraft. Wir können uns Dinge vorstellen, die nicht real sind. Und die Kunst unterstützt und fördert das. Ich habe das Gefühl, dass das in unseren normalen Tätigkeiten auch vernachlässigt wird. Die Kunst ist die Quelle und die Kraft, die das wieder zurückholt, die unsere Vorstellungskraft lebendig hält. Das ist ja eigentlich der Kern von Kunst. Von allen Künsten, von Literatur, von Theater, von Oper und auch von bildender Kunst.

Wie versteht Extinction Rebellion Kunst?

Ich kann jetzt nicht für XR allgemein sprechen, aber ich sehe es als ein Experimentierfeld. Weil wir Sachen ausprobieren. Zum Beispiel Wirkungen – wenn wir Aktionen machen, die spektakulär sind. Dann bringt es Leute zusammen, die auf ein Ziel hinarbeiten. Das schafft auch ein Gruppengefühl. Und dann gibt es noch das regenerative Potential. Viele Leute kommen auch, weil sie gerne etwas mit den Händen machen wollen. Das fehlt ihnen in ihren sonstigen Tätigkeiten und dann freuen sie sich, dass es einen Ort gibt, an dem man gemeinsam mit etwas zum Anfassen schaffen kann. Ich habe auch viel Resonanz bekommen, dass genau das den Teilnehmer*innen eine Erfüllung gibt.

Spektakulär ist ein gutes Stichwort. Viele Kunstaktionen von XR fallen auf. Was ist typisch für eine Kunstaktion von XR?

Die Aktionen mit dem Kunstblut in London und Paris waren sehr spektakulär. Oder der grün eingefärbte Fluss Limmat in Zürich. Da war die ganze Limmat grün und ein paar Rebellen schwammen in diesem toxisch aussehenden Wasser. Das sind ganz einfache Zeichen. Es steht eine präzise Aktion dahinter, einen ganzen Fluss einzufärben. Und es hat eine große Wirkung. Auch Wissen – immerhin sollte dem Fluss nichts böses getan werden. Aber es hat eine große Wirkung und arbeitet wieder auf dieser Ebene, die eher im Unbewussten liegt.

Ihr habt angekündigt, am 7.10. Berlin zu blockieren. Was für Kunst wird es da geben?

Das wird noch nicht verraten. Ich möchte aber gerne ein Konzept nennen, und zwar nennt sich das “fluid disobediance”, also “fließendes Ungehorsam”. Das wird sich dann ausgießen.

Wer verantwortet das – und wer kann mitmachen?

Es ist ein Gemeinschaftsprojekt, da arbeiten ganz viele Leute mit unterschiedlichen Ausbildungen und Erfahrungen dran. Was die Blockade und die Aktionen betrifft, die ab dem 7.10. stattfinden, kann jede*r mitmachen. Für die Blockaden ist es ratsam, vorher ein Aktionstraining mitzumachen. Die werden auch ständig angeboten und da kann man sich auch persönlich klarmachen, was für einen in Ordnung ist, zu machen.

Und wenn ich Lust habe, kann ich dann auch noch spontan hinkommen und es gibt für mich auch noch was, wo ich selber kreativ werden kann?

Ja, da wird es einiges geben, was angeboten wird. Zum Beispiel Flaggen machen, Siebdrucken und an Kostümen arbeiten, etwas mit den Händen machen.

Alle Länder arbeiten für sich und gestalten unterschiedliche Aktionen. Trotzdem gibt es Ähnlichkeiten in der Gestaltung. Gibt es ein übergeordnetes Konzept?

Für die Corporate Identity gibt es einen Leitfaden. Da halten sich aber eher die Grafikdesigner dran. Wenn es zum Beispiel auf Facebook auftaucht, dann folgen die bestimmten Richtlinien. Aber die sind dann auch trotzdem frei, das ist wie ein Pool an Elementen, die die dann verwenden, sodass man schnell sehen kann, dass es zu XR gehört. Und dann spielt es keine Rolle, ob XR jetzt in Berlin sitzt oder in Zürich oder in London.

Einige Performances – wie eben die Prozession der toten Bäume – sind düster, andere mit viel Kunstblut vielleicht sogar verstörend. Warum wird auf eine solche Ästhetik gesetzt?

Ich glaube, dass über diese auch verstörenden Aktionen etwas im Mitgefühl der Menschen angesprochen wird. Rational wissen wir ja eigentlich schon alles über die Klimakrise. Aber die Wende zur Handlung, die muss jetzt initiiert werden. Da bin ich der Meinung, dass über die unbewusste Wahrnehmung und das Gefühl und eben das Mitgefühl, das wir haben, eher den Weg zu einer Veränderung schaffen, als wenn wir immer dieses Wissen vorgesetzt bekommen. Denn das Wissen gibt es schon die ganze Zeit und es ist trotzdem zu wenig passiert. Deswegen glaube ich auch, dass sich die Kunst und der zivile Ungehorsam in dieser Bewegung zusammengefunden haben. Kunst ist ja auch keine Unterhaltung. Kunst dient der Irritation aus dem Gewohnten. Und das tut sie bei XR ziemlich gut.

Inwiefern passen ziviler Ungehorsam und Kunst zusammen?

Die Überschneidung zwischen zivilem Ungehorsam und Kunst ist, dass beide über Grenzen nachdenken und die Grenzen auch erst mal als Grenzen wahrnehmen und hinterfragen. Zum Beispiel: Warum dürfen Autos auf der Straße parken und warum dürfen Leute nicht auf der Straße sitzen? Kunst und ziviler Ungehorsam hinterfragen das und versuchen, diese Grenzen, die wir uns gesetzt haben, neu zu definieren. Und genau das ist jetzt an der Zeit.

Warum ist es wichtig, dass es bei einer Blockade auch Kunst gibt?

Neben den Dingen, die ich schon sagte, wird Kunst außerdem den Ort verändern, an dem wir sein werden. Und natürlich die Menschen, die sich dort befinden. Und die Veränderung, die wir uns wünschen, die ist eine positive, eine lebendige und eine, die uns mit allen Sinnen wahrnehmen lässt. Und sie ist lebensbejahend – wir sind ja gegen das Aussterben und haben ein positives Ziel. Das soll man auch sehen.

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Plakataktion, Foto: Extinction Rebellion

Sie selbst sind Bildhauerin – welche Werke haben Sie für XR schon geschaffen?

Ich hab die Poster mit den Tierköpfen in Linolschnitt gestaltet, die in der Stadt verteilt wurden. Das waren eine Eule, ein Frosch, ein Fisch, ein Luchs, ein Schmetterling und eine Biene. Wir haben sie dann mit den Aufrufen versehen, die auf den 7.10. aufmerksam machen. Dann habe ich am 20.9. bei dem großen Klimastreik die “Prozession der toten Bäume” initiiert. Ich habe innerhalb der XR Kunst- und Performancegruppen eine gefunden, die das aufgenommen hat und wir haben das dann gemeinsam umgesetzt. Es ist ein Gemeinschaftsprojekt geworden und aus meiner Sicht auch sehr erfolgreich, weil die Leute sehr berührt waren. Das Schöne war, dass wir verschiedene Elemente einbezogen haben. Wir haben die Leute geschminkt, es gab ein kleines Einweihungsritual, bevor wir geschminkt haben. Dann wurden die Bäume und die einzelnen Aufgaben verteilt. Wir waren eine Gruppe, aber gleichzeitig offen genug, um Leute von außen, die vorbeigekommen sind und interessiert waren, zu integrieren. So sind wir auch über unsere eigenen XR-Leute hinaus gewachsen. Das war schön zu sehen. Und was für mich auch ein wichtiger Faktor ist: Ich habe mich lange mit der Trauer über den Verlust von Naturraum beschäftigt, der auch in den Medien immer mehr ankommt. Viele Leute spüren den, finden aber keinen Weg oder Leute, mit denen sie das teilen können. Und diese Prozession der toten Bäume hat dem einen Ort gegeben und eine Gemeinschaft. Da waren auch einige Leute sehr dankbar.

Wie sind Sie denn zu XR gekommen?

Die Bewegung tauchte auf und ich habe mich dafür interessiert – ich glaube hauptsächlich auch über die künstlerischen Aktionen. Ich habe mich dann mit den Hintergründen von XR beschäftigt und bin im Frühling zu der Rebellion Week, die hier in Berlin stattfand, gegangen. Und dann habe ich mich so langsam hineingefunden.

Haben Sie sich zuvor auch schon politisch engagiert?

Für mich war das eher ein längerer persönlicher und künstlerischer Prozess. Da bin ich jetzt gerade drin und das politische Engagement ist für mich zur Zeit am wichtigsten geworden. Ich merke auch, dass das Alleine-vor-mich-hin-arbeiten im Atelier eine lange Zeit sehr schön und befriedigend war, aber jetzt sind einfach andere Zeiten. Wir müssen uns alle ändern und da gehöre ich auch dazu.

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