Anna-Lena Wenzel

Dr. Anna-Lena Wenzel* ist Autorin und Künstlerin. Nach ihrem Studium der Angewandten Kulturwissenschaften in Lüneburg promovierte sie über „Grenzüberschreitungen in der Gegenwartskunst“. Sie betreibt das Online-Magazin 99 % Urban und den Radiosalon für Alltägliches und ist in unterschiedlichen kollektiven Zusammenhängen unterwegs.

Es soll rumoren!

13.09.2018
Performance von Daniela Huerta, Foto: Robert Eckstein

In der Auguststraße in Berlin-Mitte, im Herzen der Berliner Kunstszene, befindet sich die älteste kommunale Galerie Berlins: die galerie weisser elefant. Zur diesjährigen Kunstwoche der Kommunalen Galerien Berlins – kurz KGB-Woche – gibt es dort ein dichtes Programm mit täglichen Sound-Performances, kuratiert von Sebastian Häger. Seit Juli 2018 ist er kommissarischer Leiter der Galerie und vertritt damit Ralf Bartholomäus, der über drei Jahrzehnte den Ort maßgeblich geprägt hat.

Der politische und städtische Kontext war zur Zeit der Gründung der galerie weisser elefant ein komplett anderer als heute, wo sich in der Auguststraße eine kommerzielle Galerie an die andere reiht: Damals gab es eine vom Verband Bildender Künstler verordnete „Gewerketrennung“. Um Kunstformen zu zeigen, „die sich der Gestalt- und Funktionsbestimmung von bildender Kunst in der DDR entzogen“ wie es bei Aktions- und Installationskunst der Fall ist, und damit eine Erweiterung des Kunstbegriffs durchzusetzen, hatte die Arbeitsgruppe „Junge Künstler“ des Verbandes Bildender Künstler um den Maler Joachim Völkner und die Kunsthistoriker Gabi Ivan und Ralf Bartholomäus lange kämpfen müssen, wie die Autorin Uta Grundmann in einem Beitrag über die Permanente Kunstkonferenz schreibt, die 1989 in der Galerie stattfand und in der diese Aktionskunst erstmals einen offiziellen Raum fand. „Es gab nicht viele Orte in Ostberlin, an denen das Rumoren in der Kunstszene, das Abstreifen von Konventionen, das Verlieren der Angst vor der Kontrolle und die Lust am Komplizierten öffentlich sichtbar werden konnte“, resümiert Katrin Bettina Müller in der taz zum 25-jährigen Jubiläum des Raumes im Juli 2012.

1987 in der Almstadtstraße gegründet, zog die Galerie 1998 in die Auguststraße und strotzt seither den Gentrifizierungswellen in Mitte. Die Räumlichkeiten sind über eine Hofeinfahrt zu erreichen und befinden sich im ersten Stock des Backsteingebäudes der Nummer 21. Die Aufteilung der Zimmer ist kleinteilig; man merkt dem Ort seine ursprüngliche Funktion als Wohnung sofort an. Bartholomäus hat dieses Merkmal zum Charakteristikum der Galerie gemacht, indem er den Grundriss zum Logo erklärte. Und weil der Ort so prägnant ist, legt Bartholomäus konsequenterweise seit jeher einen Schwerpunkt seines Programms auf ortspezifische künstlerische Eingriffe. Hinzukommen Ausstellungen, die theoretisch-philosophische Fragestellungen aufgreifen, sowie ein erweitertes Veranstaltungsprogramm mit Lesungen und Konzerten.

Eingangsbereich der galerie weisser elefant, Foto: Robert Eckstein

An die Tradition der Konzerte knüpft nun Sebastian Häger mit seiner Sound-Performance Woche Uncertain Sounds an. Er selbst ist Künstler, hat an der Universität der Künste in Berlin studiert und im Anschluss ein Volontariat im Fachbereich Kunst und Kultur im Bezirksamt Mitte absolviert. Dort hat er als Teil der künstlerischen Leitung und des Kurator*innenteams des Bärenzwingers sowie als Co-Kurator der Ausstellungsreihe statement&dialogue in der Ruine der Franziskaner Klosterruine bereits einige kuratorische Erfahrungen gesammelt. Als kommissarischer Leiter der Galerie setzt er zunächst das bereits konzipierte Programm um; mit der Entwicklung des Programms für die KGB-Woche macht er den ersten eigenen Aufschlag. Sein Wunsch ist es, das Besondere des Ortes, seiner Geschichte und des Programms zu erhalten, und gleichzeitig stärker in der Gegenwart zu platzieren. So würde er gerne die Verknüpfung von Kunst und Theorie beibehalten und dabei aktuell diskutierte Theoreme und Diskurse aufgreifen. Wie Bartholomäus zieht es ihn zu den Grenzbereichen, in denen künstlerische Strategien sich mit Methoden und Verfahren aus anderen Disziplinen mischen und überlagern. Beide Kuratoren verbindet zudem der Glaube an Kunst als irritierendes und bewegendes Moment.

Aktuell ist er dabei, ein fünfköpfiges Kuratorium zusammenzustellen, das für die Gestaltung des Programmjahres 2019 verantwortlich sein wird. Die Idee dahinter ist, die kuratorischen Entscheidungsprozesse auf mehrere Personen zu verteilen und damit zu diversifizieren; durch Open Calls soll zusätzlich das Künstler*innenspektrum der Galerie erweitert und eine Öffnung der Programmgestaltung ermöglicht werden. Neben einer Verjüngung des Programms, um dem Anspruch der kommunalen Galerien gerecht zu werden Künstler*innen dabei zu unterstützen, sich unabhängig vom Kunstmarkt zu etablieren. Zudem möchte er „eine neue Generation und ein internationales Besucher*innenpublikum ansprechen um veränderten Realitäten in Berlin Rechnung zu tragen. Darüber hinaus hat er weitere Änderungen angestoßen, unter anderem Maßnahmen, wie man die äußere Sichtbarkeit der Galerie verbessern und ein größeres Laufpublikum anlocken kann.

Unter dem Titel Uncertain Sounds werden nun an fünf aufeinanderfolgenden Tagen, vom 12. bis zum 16. September, neun Sound-Performances in der Galerie stattfinden. Wichtig war Häger bei der Zusammenstellung des Programms eine Mischung aus etablierteren und unbekannteren künstlerischen Positionen. Ihn interessieren dabei mehrere Aspekte: das konzeptuelle Spektrum beim Zugriff auf Klang, die unterschiedlichen visuellen Elemente, die die Auftritte begleiten und die Musik in ein anderes Medium übersetzen, die Performanz (oder auch Nicht-Performanz) der Musiker*innen und die Erweiterung der Musik – oder besser des Klangs – in den Raum. Wie werden diese den Raum füllen und sich im Raum verteilen? Wie werden Musiker*innen und das Publikum interagieren?

Performance von Stefan Römer, Foto: Robert Eckstein

Während bei mehreren Positionen das Experimentieren mit verschiedenen Sounds und Klängen im Vordergrund steht, wie bei Jan Jelinek oder Lucrecia Dalt, gibt es andere, die stärker konzeptuell ausgerichtet sind, weil sie sich wie bei Stefan Römers Performance Sechs Schüsse auf eine Situation beziehen, die er selber erlebt hat, oder wie bei Ioana Vreme Moser, die mit Conquette Fragen zur Weiblichkeit in den Fokus rückt. Durch die Entscheidung fast durchweg zwei Performances pro Abend stattfinden zu lassen, werden sich zudem die beiden Acts unweigerlich aufeinander beziehen. Häger setzt damit den experimentellen und ergebnisoffenen Charakter, den er bei den Künstler*innen schätzt, im eigenen Programm fort. Es ist zu hoffen, dass das Ergebnis ein ähnliches Rumoren erzeugt, wie das, das einst Bartholomäus angetrieben hat.

[1] Uta Grundmann: Die „Permanente Kunstkonferenz“ und die Galerie Weißer Elefant, 6.9.2012, http://www.bpb.de/55811/galerie-weisser-elefant

Uncertain Sounds

12.09. – 16.09.2018, ab 19 Uhr, Eintritt frei
Mit Performances von Lucrecia Dalt, Moritz Simon Geist, Daniela Huerta, Jan Jelinek, Felicity Mangan, Ioana Vreme Moser, Andrew Pekler, Stefan Römer

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