Maike Brülls

Maike Brülls arbeitet als Journalistin in Berlin. Sie hat Kulturjournalismus studiert. Ihre Texte sind unter anderem in der taz, bei VICE, ZEIT Online, DUMMY und MISSY erschienen. Außerdem arbeitet sie an Videos für verschiedene Formate des funk-Netzwerks.

Es summt im Haus der Statistik

23.07.2019
"Allesandersplatz" steht in weißen Lettern auf dem Haus der Statistik. Fotos: Maike Brülls

Erste Künstler*innen nutzen Räume des lange leer stehenden Haus der Statistik. Mit ihnen sind auch Bienen in den Koloss eingezogen.

Gipsstaub umweht den Autoscooter. Das alte Fahrgeschäft ist rostig, Autos stehen keine darauf, doch Anweisungen wie „Nicht mit den Füßen abstoßen“ sind noch lesbar. Es ist ein merkwürdiger Ort für einen Autoscooter. Denn statt Riesenrad und einer Bude mit Zuckerwatte und gebrannten Mandeln steht daneben ein Geisterhaus. Kein Jahrmarkt-Geisterhaus, sondern ein richtiges, ein seit Jahren verlassenes Haus, verwahrlost, kaputt und gruselig. Es ist das Haus der Statistik.

Seit über zehn Jahren steht dieses zentral am Alexanderplatz gelegene, 46.000 Quadratmeter große Gebäude still. Das ändert sich jetzt. Eine Initiative hat erwirkt, dass das Gebäude nicht privatisiert wird, sondern dass dort ein neuartiges Quartier entstehen kann, in dem Studierende, Künstler*innen, Geflüchtete genauso Platz finden wie Menschen, die günstigen Wohnraum suchen. Kultur Mitte berichtete darüber. So kommt es, dass in der Ecke des Hinterhofes, neben dem Autoscooter, ein Bagger steht, der Schutt um Schutt aus dem Gebäude auf einen großen Haufen kippt, dessen Staub bis zum Autoscooter weht.

Auf dessen Stufen sitzt eine Gruppe von Menschen. „Herzlich willkommen am Haus der Statistik“, begrüßt eine junge Frau sie. Unter der hochgekrempelten Hose werden Bienensocken sichtbar. „Ja, die habe ich extra angezogen“, lacht sie, als sie darauf angesprochen wird. Denn um diese kleinen Tiere wird es heute gehen. Die Gruppe ist hier, um einen Workshop mit Bienen mitzumachen.

Kunst mit Bienen

Die Frau ist Katja Marie Voigt, Künstlerin und Teil der Moabees, einem Bienen-Kunstprojekt aus Moabit. Zu diesem gehören auch Elisa Dierson und Bärbel Rothhaar, die heute auch da sind, um den Workshop zu leiten. Ihre Bienen gehören zu den ersten Lebewesen, die im Rahmen der Initiative neu in das Gebäude eingezogen sind. Denn auch, wenn die Umbauarbeiten erst begonnen haben und das Projekt mit dem Einzug des Rathauses erst 2030 fertig sein soll, ziehen nun schon die ersten Projekte, Pioniere genannt, in einen Teil des Gebäudes ein. Das Urban Gardening-Projekt Sunseeker gehört dazu, die Summer School der UdK und STATISTA, ein Kunstprojekt, bei dem Künstler*innen untersuchen, wie gemeinwohlorientierte Zusammenarbeit im Bereich Stadtentwicklung gelingen kann. Dazu wiederum gehören auch die Moabees.

Ansässig beim ZK/U in Moabit verwirklichen die Moabees verschiedene Projekte, die mit Bienen arbeiten. „Honigbienen sind Künstler und Architekten. Sie sind Sozialisten, Demokraten, Monarchisten, sind Gourmets und Tänzer, Piloten und Kämpfer“, heißt es auf der Website. Um sich diesen sozialistischen Künstler*innen zu nähern, gestalten sie Workshops, veranstalten Kinoabende und Honigpicknicks für die Nachbarschaft. Auch zum Mitimkern ist jede*r eingeladen.

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Diese Fenster haben die Moabees sich schon für weitere Vitrinen beiseite gelegt. Fremde haben sie in der Nacht zerstört.

Die Moabees also führen die Gruppe nun hinein in das Gruselhaus. Überall liegt Glas, die Wände sind beschmiert, auf dem Boden liegen Zigarettenstummel und Bierflaschen. Nacht für Nacht steigen Menschen unbefugt in das Gebäude ein. Zum Teil, weil sie zum Schlafen ein Dach über dem Kopf suchen. Zum Teil aber auch, um ihrer Freude an Zerstörung hier Raum zu geben, Fenster zu zerschlagen, Bretter aus der Wand zu reißen. Dass das Gebäude nun wieder belebt wird, hat daran nichts geändert. Deswegen haben die Moabees an die Tür, die zu ihren Bienen führt, ein Schild mit der Aufschrift „Achtung, Bienen!“ angebracht.

Spezielle Vitrinen

Davor macht die Gruppe jetzt einen Stopp. Jede*r zieht sich einen Bienenschleier über den Kopf, krempelt Hosenbeine herunter, zieht sich eine Jacke mit langen Ärmeln an. „Wisst ihr, was ihr macht, wenn eine Biene zu euch kommt?“, fragt Elisa. „Ruhig bleiben“, murmelt die Menge.

Drei Völker der Moabees wohnen schon im Haus der Statistik. Neun sollen es werden. Sie wohnen dann in speziellen Vitrinen, die ausgestattet sind mit Sensoren. Denn die Bienen sind hier, um eine eigene Währung zu generieren: den BeeCoin.

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Eine mit Sensoren ausgestattete Vitrine, in der die Bienen wild ihre Waben bauen.

Kryptowährungen sind rein digitale Währungen, die oftmals unabhängig von Banken sind und bei denen es weder Scheine noch Münzen gibt. Sie sind verschlüsselt und anonym. Die bekannteste Währung ist der BitCoin. Die Währung steht unter anderem in der Kritik, weil der Prozess, um diese Währung zu erstellen, sehr viele Prozessoren und Strom benötigt. BeeCoin funktioniert anders. Über die Sensoren werden verschiedene Werte gemessen: das Gewicht der Bienen und die Temperatur zum Beispiel. Im Prinzip gilt: Je besser es den Bienen geht, desto höher der Wert der Währung.

Eine Bienen-Währung

Dieses Projekt haben sich die Moabees nicht allein überlegt, sondern zusammen mit Entwickler*innen und Elektroniker*innen. Die bringen die Expertise des Programmierens, Elisa, Katja und Bärbel die Kenntnis der Bienen. Bärbel imkert mittlerweile seit 20 Jahren. Elisa und Katja seit 2012.

Es summt leise in dem kleinen Raum, in dem eine der Vitrinen steht. Sie besteht aus drei aneinander befestigten alten Fenstern aus dem Haus der Statistik. Darin können die Bienen wild ihre Waben bauen. Das Fenster ist geöffnet, eifrig fliegen Bienen hinein und heraus. Einige haben dicke Beinchen, weil Pollen daran kleben. „Es ist ein gutes Zeichen, wenn die Bienen Pollen einbringen“, erklärt Katja. „Das heißt, sie sind gesund und es gibt eine Königin.“

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Die Fotogramme trocknen in der Sonne.

Da die drei sich auch künstlerisch mit Bienen beschäftigen, besteht dieser Workshop aus einem zweiten Teil: ein Fotogramm mit dem fotografischen Druckverfahren Cyanotypie erstellen. Der Zusammenhang ist, dass Bienen nehmen die Umwelt visuell anders wahr als Menschen, nämlich mit ultraviolettem Licht. Cyanotypie wiederum reagiert genau auf dieses UV-Strahlung. Die Teilnehmer*innen sind eingeladen, ihr eigenes Cyanotypie-Fotogramm zu gestalten. Dazu spazieren sie tiefer in das Haus der Statistik hinein, sammeln herumliegende Schrauben, pflücken hineinwachsende Pflanzen, ziehen Dämmwolle aus den Wänden. Bei Kerzenlicht legen sie ihre Fundstücke auf mit eisenhaltigem Entwickler beschichteten Papiere und legen sie dann in die Sonne auf dem Innenhof, lassen die Sonne und die Chemie wirken.

Eine Bar im Wilden

Hier im Innenhof kann man schon ein bisschen was sehen von dem, was Studierende der UdK dort bauen. Das Gerüst einer eine Bar, erste Holzterrassen und Vorrichtungen sind schon vorhanden, wild umwuchert von Pflanzen. „Es ist ein bisschen bewölkt, wir müssen wohl also eine Viertelstunde warten“, sagt Elisa zu den Teilnehmer*innen, die sich schon auf dem Bar-Provisorium niedergelassen haben. Als die Zeit rum ist heißt es: mit Wasser auswaschen, fertig ist das Fotogramm.

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Eine Bar im grünen Innenhof des Haus’ der Statistik.

Übrigens: Ein Teil der dabei entstandenen Fotogramme wird zur Berlin Art Week ab dem 11. September ausgestellt. Dann öffnet das Haus der Statistik seine Türen und das Kunstprojekt STATISTA präsentiert die Arbeiten. Auch der Autoscooter wird bis dahin bestimmt schon in Benutzung sein – als Veranstaltungsort.

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