Anna-Lena Wenzel

Dr. Anna-Lena Wenzel* ist Autorin und Künstlerin. Nach ihrem Studium der Angewandten Kulturwissenschaften in Lüneburg promovierte sie über „Grenzüberschreitungen in der Gegenwartskunst“. Sie betreibt das Online-Magazin 99 % Urban und den Radiosalon für Alltägliches und ist in unterschiedlichen kollektiven Zusammenhängen unterwegs.

Leuchtende Fingernägel und türkische Balladen  

14.06.2024
Foto: Tiyatro Berlin
Foto: Tiyatro Berlin

Das Stück "Pride93" im Ballhaus Prinzenallee wirft ein Spotlight auf die queere türkische Geschichte. Anlass für einen Besuch an einem geschichtsträchtigen Ort, der sich seit ein paar Jahren neu erfindet und als Bühne für türkische Stücke, politische Themen und Freiraum für interdisziplinäre Projekte von sich reden macht.

Im nördlichen Teil der Prinzenallee, im sogenannten Soldiner Kiez, befindet sich etwas versteckt in einem Hinterhof das Ballhaus Prinzenallee. Geht man durch die schmale Auffahrt, läuft man auf einen schlichten Kubus mit einer Glasfront zu. In dem etwas verschachtelten Eingangsbereich befinden sich eine Kasse, eine Bar und eine kleine Bibliothek sowie der Eingang zum quadratischen Theatersaal.

Obwohl es das Ballhaus in dieser Form erst seit 2021 gibt, hat das Programm mit dem Theater28 einen Vorläufer. Es wurde 2010 von dem Theaterpädagogen Ufuk Güldü gegründet, der sich 2020 mit dem Regisseur Oliver Toktasch zusammengetan hat, um das Ballhaus zu gründen. Gemeinsam teilen sie sich die Leitung des Haues unter der Trägerschaft des Vereins interkulturell Aktiv e.V. Ihr Ziel: „Einen Freiraum zu schaffen für engagierte Projekte junger Kunstschaffender mit Migrationshintergrund, für Newcomer*innen in der Stadt und für Autor*innen, Regisseur*innen sowie Darsteller*innen, die ihre Länder verlassen mussten oder aus sonstigen Gründen dort keinen Platz mehr für sich sahen.” [1]

Dabei haben sie sich einen Ort mit denkbar bewegter Vergangenheit ausgesucht, denn die Geschichte des Ballhauses beginnt mit dem Bau eines Festsaals für 300 Personen durch den Restaurantbesitzer Hermann Schmidt im Jahre 1903. Dieser wurde „rasch zu einem kulturellen Mittelpunkt für die proletarische Bevölkerung.” [2] Hier gab es Ausstellungen, probten und traten Theater- und Gesangsvereine auf. Die KPD nutze den Saal für Versammlungen, bis ihn die SA 1933 einnahm und in ein Sturmlokal umwidmete, das auch als Folterstätte für Sozialdemokrat*innen und Kommunist*innen diente. Nach dem Krieg betrieben die französischen Alliierten hier ein Kriegsgefangenenlager, anschließend wurde das Gebäude als Gotteshaus genutzt. Ab den 1960er Jahren wurde das im Krieg zerstörte Vorderhaus mit Gaststätte wiedererrichtet und das unversehrt gebliebene Ballhaus erneut kulturell genutzt – für Theateraufführungen, Konzerte oder als Diskothek. Mitte der 1990er Jahre wurde der Ballsaal, der wegen seines verglasten Eingangsbereichs auch Glaskasten genannt wurde, aufwendig mithilfe von Senatsgeldern saniert. So aufwendig, dass sich im Gebäude kaum mehr historische Spuren finden. Einzig die originale Eingangstür zum Bühnenraum gibt einen Hinweis auf die lang zurückreichende Geschichte des Ortes. Der Bühnenraum selbst ist schlicht und neutral gehalten: Die Wände sind mit schwarzem Stoff verhangen, im Zuschauerbereich stehen mehrere Tische mit Stühlen.

Der Eingang des Ballhaus Prinzenallee
Der Glaskasten. Foto: Anna-Lena Wenzel

Hier wird ein vielfältiges Programm aus Theaterstücken, Performances und Festivals aufgeführt. Es gibt Stücke auf Türkisch, Akteur*innen aus Kunst und Musik nutzen den Raum für multimediale Inszenierungen, auch Comedy, Improtheater und Aufführungen, die sich speziell an Kinder richten gehören zum Repertoire.

Bei Pride93 stehen auf der schmalen, erhöhten Bühne sechs Performer*innen, deren orangeleuchtender Nagellack im Dunkeln strahlt. Sie tragen eine Mischung aus Party- und Fitnessdress und werden im Laufe des Stückes sowohl für Partystimmung als auch für Tränen sorgen. Abwechselnd treten sie nach vorne an das Mikrofon und erzählen (oder singen) Geschichten: Von der Einsamkeit und den Hänseleien, denen sie als queere Menschen  ausgesetzt waren, aber auch von dem Glück und der Euphorie, die queere Einrichtungen wie Magazine, Clubs und die Gay Pride für diese Community bedeuteten, weil sie ihnen gezeigt haben, dass sie nicht alleine sind.

Eine Frau auf einer Bühne spitzt die Lippen zum Kuss
Foto: Tiyatro Berlin

Didem Kaplan hat eine informative wie sensible Textcollage erstellt, die auf verschiedenen Quellen und Zeitzeugengesprächen basiert und die in der deutschen Übertitelung sogar einige zusätzliche Informationen enthält. Es gelingt ihm, persönliche Schicksale mit gesellschaftlichen Entwicklungen zu verknüpfen, wichtige Protagonist*innen und Orte und gleichzeitig eine Community vorzustellen. Was ihm noch gelingt: eine feine Balance zwischen Aufbruchsstimmung und Ernüchterung auf die Bühne zu bringen. Auf Schilderungen von empowernden und ausgelassenen Momenten folgen Berichte von staatlichen Übergriffen und Einschränkungen. Trotz der ernüchternden Bilanz („In der Türkei hat der Druck auf LGBTIQ+ Personen in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Seit 2015 ist es nicht mehr möglich, eine Pride durchzuführen.”[3]), endet das Stück nicht nur pessimistisch: „Nach all den geführten Kämpfen wissen alle Queens jetzt, dass niemand, der sich vielleicht nicht persönlich kennt, aber einander vertraut ist, jemals wieder alleine gehen wird…” [4] Ein kurzweiliges, bewegendes wie unterhaltsames Stück!


Infos:
Ballhaus Prinzenallee
Prinzenallee 33, 13359 Berlin
https://www.ballhausprinzenallee.de/

Der nächste Aufführungstermin von Pride93 ist am 16.06. um 18:00 Uhr.

[1] https://taz.de/!5983476/
[2] https://www.ballhausprinzenallee.de/index.php/ueberuns/geschichte-des-gebaeudes
[3] http://www.tiyatroberlin.de/index.php/de/team?view=article&id=85:pride93-2025&catid
[4] https://www.ballhausprinzenallee.de/index.php/spielplan/gastspiele/pride93-16-06-2025

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