Maike Brülls

Maike Brülls arbeitet als Journalistin in Berlin. Sie hat Kulturjournalismus studiert. Ihre Texte sind unter anderem in der taz, bei VICE, ZEIT Online, DUMMY und MISSY erschienen. Außerdem arbeitet sie an Videos für verschiedene Formate des funk-Netzwerks.

Von Schweinemasken und französischen Zöpfen

18.06.2019
Jennifer in der Maske Fotos: Komische Oper Berlin/ Aurelio Schrey
Jennifer in der Maske Fotos: Komische Oper Berlin/ Aurelio Schrey

Die Oper ist eine eigene kleine Welt mit vielen Berufen, die hinter den Kulissen stattfinden. Beim Bildungsprojekt jobs@opera an der Komischen Oper können Oberschüler*innen aus Berlin Mitte sie kennenlernen.

Die einzelnen dunklen Haarsträhnen der Puppe sind zu kleinen Kringeln geformt und mit Haarnadeln fixiert. Ganz platt liegen sie an dem Kopf an. So platt, dass Jennifer eine blonde Perücke über den dunklen Schopf des Puppenkopfes ziehen kann – ohne, dass man hinterher etwas von den anderen Haaren ahnt. An jeder Wand des Raumes, in dem Jennifer steht, sind Spiegel angebracht. Vor ihnen stehen Stühle, jede Menge Make-Up, Pinsel und Haarklammern. Es ist ein Raum der Maske der Komischen Oper Berlin. Hier werden einige der Sänger*innen und Kompars*innen vor ihrem Auftritt geschminkt und frisiert. „Woah, das war ganz schön anstrengend“, wird Jennifer später sagen. „Wir hatten total viel zu tun, ich habe zwischendurch nur zehn Minuten mal gesessen.“ Aber: Sie habe auch sehr viel Neues gelernt, zum Beispiel, wie man einen französischen Zopf rückwärts flechtet.

Es ist ein schwüler Sommertag im Juni und Jennifer arbeitet heute hinter den Kulissen einer Aufführung an der Komischen Oper Berlin mit. Es ist 17:30 Uhr, in zwei Stunden beginnt die Vorstellung von Modest P. Mussorgskis Stück „Der Jahrmarkt von Sorotschinzi“. Jennifer ist nicht allein, mit ihr sind Valentin und Yusuf da. Valentin hilft im Licht, Yusuf assistiert bei der Bühnentechnik. Die drei sind Schüler*innen einer Klasse der Willy-Brand-Schule im Stadtteil Gesundbrunnen, die in diesem Jahr neben drei weiteren Schulen aus dem Bezirk zum ersten Mal an dem Berufsbildungsprojekt „jobs@opera“ teilnehmen. 2018 schufen der Fachbereich Kunst, Kultur und Geschichte des Bezirksamts Mitte von Berlin gemeinsam mit der Komischen Oper Berlin den Kulturellen Bildungsverbund jobs@opera. Die Idee: Schüler*innen der 9. und 10. Klasse von Schulen mit einer hohen Schulabbrecherquote sollen an die Kunstform Oper und die Berufe herangeführt werden, die es hinter den Kulissen gibt.

Und das sind einige. Neben Lichttechnik, Maske und Bühnentechnik gibt es unter anderem die Requisite, den Abenddienst, die Tontechnik und die Kostümbildner*innen. „Das Besondere an dem Projekt ist, dass die Schüler*innen die ihnen meist fremde Kunstform Musiktheater kennenlernen und sehen, was für eine Berufsvielfalt es in der Oper gibt“, sagt Tobias Reiser, Leiter des Projektes. „Und auch, dass sie selbst ganz praktisch bei einer Aufführung mitmachen dürfen.“

Erste Hinweise auf das Stück

Auf den Gängen der Oper ist es noch ziemlich still. Nur einige Kerzen, die auf den Fensterbänken des Treppenhauses stehen und dem später gespielten Stück als Requisite dienen, verraten, dass in wenigen Stunden die Aufführung beginnt. Doch in einigen Räumen wird schon gewerkelt. In der Maske werden Make-Up und Accessoires bereitgelegt, der Bühnenraum wird vorbereitet und auch die Lichttechnik macht sich bereit. Im Stellwerk der Oper, einem schmalen Raum hinter den noch leeren Zuschauerreihen, sitzt Valentin. Durch ein Fenster kann er die Bühne sehen. Und das muss er auch, denn er assistiert heute dabei, das Licht einzustellen. Es ist nicht das erste Mal, dass er mit Licht arbeitet. Valentin hat sich selbst schon einige Programme zur Steuerung von Licht beigebracht und in seinem Zimmer Moving Heads, also sich bewegende Scheinwerfer, installiert. „Hier an der Oper benutzen sie aber ein anderes Programm, sie haben es selbst programmiert“, erzählt er hinterher. „Es ist aber ähnlich wie die, die ich kenne und ich habe es schnell verstanden.“

Diesem Tag, an dem die Schüler*innen hinter den Kulissen mitarbeiten, gingen schon einige Tage an der Oper voraus. In einem Workshop zu Musiktheater schlüpfte die ganze Klasse in die Rollen aus Leonard Bernsteins „West Side Story“. Sie übten, sich zu einer bestimmten Musik zu bewegen, überlegten die Emotion dahinter und gestalteten und interpretierten die Charaktere so selbst. Gemeinsam besuchten sie auch eine Vorführung der „West Side Story“ an der Komischen Oper Berlin. Für viele war es der erste Besuch hier. Aber nicht der letzte, denn schon einige Tage später führte Tobias Reiser sie durch die verschachtelten Gänge der Komischen Oper, und zeigte ihnen alle Abteilungen.

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Steht schon sicher hinter den Kulissen: Yusuf.

Die Klasse lernte, dass die Bühne eine Schräge hat, damit man auch aus den hinteren Reihen das Geschehen sehen kann, und somit auch das Bühnenbild schräg gebaut werden muss. Dass das Kulissen-Magazin Platz für die Kulisse von sieben Stücken hat. Dass einige der Perücken von Hand geknüpft werden, wobei 90- bis 150.000 Haare in 50 bis 60 Stunden eingearbeitet werden. Sie konnten dem berühmten Cellisten Wen-Sinn Yang und seinem Bratsche und Geige spielenden Team in der Loge bei einer Probe zusehen, in der Requisite den Obststand aus dem Bühnenbild der „West Side Story“ wiederfinden und bei den Kostümen fühlen, wie schwer ein Fatsuit ist. Größte Freude allerdings herrschte, als Herr Reiser die Truppe zu dem Raum führte, in dem die Schweinemasken für das Stück „Der Jahrmarkt von Sorotschinzi“ aufbewahrt werden. Denn erst traute sich einer und dann sogar ein zweiter Schüler, sich eine der großen Masken auf den Kopf zu setzen – was von einem Mitschüler mit einem neckischen „Bei dir sieht man ja gar keinen Unterschied“ kommentiert wurde.

Eine Idee für die Zukunft mehr

Nach diesen drei Tagen bestand für diejenigen, die noch mehr über die Oper lernen und auch selbst mit anpacken möchten, die Möglichkeit, sich für die Mitarbeit bei einer Aufführung zu bewerben. Unterstützung erhielten sie dabei durch das Projekt im Rahmen eines Schreibworkshops. Und drei konnten mit ihren Bewerbungen auch überzeugen: Yusuf, Valentin und Jennifer eben.

Zurück zum Tag der Aufführung. Mittlerweile sind auch die Gänge der Oper belebt. Keine halbe Stunde mehr, dann geht das Stück los. Ein paar bereits kostümierte Sänger sitzen in einer Ecke und spielen Karten, andere kommen in die Maske, um sich ihr Make-Up auftragen zu lassen, es herrscht Gewusel und man spürt an der Stimmung, dass die Anspannung steigt. Auch der Zuschauerraum ist nicht mehr leer und düster, die ersten Gäste sitzen schon, murmeln und tuscheln. Dann versammeln sich die Sänger*innen im Bühnenraum, jede*r in der Hand eine Kerze, treten auf die Bühne, der Vorhang geht auf und das Stück beginnt.

Yusufs Augen strahlen, als die Aufführung zu Ende ist. Er konnte einen Teil des Stückes aus dem Bühnenraum beobachten, sehen, wie die Sänger*innen sich auf ihren Auftritt vorbereiten, hören, was die Bühnentechniker einander zurufen. Vorher wurde ihm an einer der Probebühnen gezeigt, was dort so alles gemacht werden muss. „Ich weiß es noch nicht sicher“, sagt er, „Aber vielleicht würde ich das auch beruflich machen.“ Ähnliche resümieren auch Jennifer und Valentin. „Ob ich das als Beruf machen will, kann ich noch nicht sicher sagen“, sagt Jennifer. „Ich weiß noch zu wenig, was es sonst für Jobs gibt.“ Vorstellen können sie und Valentin es sich aber schon.

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Hat vom Stellwerk aus alles im Blick: Valentin.

Die Komische Oper und das Bezirksamt Mitte hoffen, mit dem Projekt das Interesse der Jugendlichen für Musiktheater und die zahlreichen Berufe, die an der Produktion eines Stücks mitwirken, wecken zu können. Nach den Sommerferien wird es einen zweiten Durchgang mit drei weiteren Schulen geben. „Für das Haus ist dieses Projekt auch interessant“, so Projektleiter Tobias Reiser. „Immerhin ist das die nächste Generation, die die Oper weiterführen könnte.“ Deswegen wurde im Rahmen des Projektes „jobs@opera“ auch eine Ausbildungsstelle geschaffen, auf die sich alle Teilnehmer*innen bewerben können. Mal sehen, ob nicht vielleicht Valentin, Jennifer oder Yusuf bald wieder durch die verwinkelten Gänge der Komischen Oper laufen.

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