Die Geschichte des „Spinner und Weber“ klingt ein bisschen nach einem Film. Zwei Freunde entdecken einen Antiquitätenladen, der zu vermieten ist. Sie haben eine Idee: Das könnte ihrer werden! Ein Ort für Kunst, ein Ort für Gespräche, ein Ort für guten Kaffee! Mit vielen Freunden gründen sie einen Verein, mieten die Ladenfläche. Der Film würde Szenen zeigen, wie die beiden Männer all die Antiquitäten aus dem Geschäft schleppen. Wie sie die Tapeten entfernen, in endlos scheinenden Stunden Lack von Boden und Türrahmen schleifen. Wie sie eine geschwungene Bar bauen, auf die sie eine kleine Espresso-Maschine stellen und ein paar gefundene Möbel davor.
Denn so ist das „Spinner und Weber“ in der Brüsselerstraße im Wedding entstanden. Es ist Projektraum, Nachbarschaftszentrum, Ort für Kunst und Café gleichzeitig. Lars Preisser und Sebastian El-Rawas sind seit dem Abi befreundet. Vor fünf Jahren – da waren beide gerade im Studium – entdeckte El-Rawas, dass der Laden unter seiner Wohnung frei wurde. Der Besitzer hatte sich aus dem Staub gemacht. Die beiden nutzten die Chance, mieteten mit dem neu gegründeten Verein die Fläche und bekamen ein halbes Jahr mietfrei, um die Räume zu entrumpeln. „Die Idee war, einen Ort für Kunst zu schaffen“, sagt Preisser. „Aber auch einen, in dem man gut Zeit verbringen und guten Kaffee trinken kann.“
Preisser selbst ist Künstler, er zeichnet, macht Filme und hat unter anderem Textilkunst in Neuseeland studiert. El-Rawas hat Philosophie und Geschichte studiert und arbeitet mittlerweile als Grundschullehrer. Der Name der Räumlichkeiten spielt auf die beiden Hintergründe an: „Spinner sind nicht nur diejenigen, die den Faden spinnen, sondern auch die Spinner mit nichts als Flausen im Kopf. Und Weber weben, normalerweise am Webstuhl. Das SUW verbindet beides“, heißt es auf der Webseite. Und weiter: „Bei uns werden Gedanken gesponnen und mit der Nachbarschaft/Gesellschaft verwoben”.
Geschichten in jeder Ecke
Zwei Räume hat der vordere, für alle zugängliche Bereich des „SUW“. Kommt man durch die Tür, steht man direkt in dem kleinen Ausstellungsraum. Die Wände sind grob verputzt, auf dem Boden liegen dunkle Dielen. Was darin steht, variiert. Gerade ist keine Ausstellung. Indirekt beleuchtet stehen ein Tisch mit Stühlen, eine Bank mit grünem Samtüberzug, eine Pflanze, drei gestapelte Obstkisten und ein hölzerner Zeitungsständer dort. Durch einen Durchbruch kann man schon von dort aus rechts in den Café-Raum schauen. Rechts am Fenster stehen zwei Tische, dazwischen eine alte hölzerne Orgel. An der hinteren Wand ein Ofen, daneben ein Samowar und eine Saftpresse. Links ein großer hölzerner Tresen, dahinter ein Poster der Berliner Rap-Kombo KIZ an der Wand, davor steht ein massives altes Münztelefon. Und daneben ein kleiner Kühlschrank mit Kuchen, gebacken mal von Preissers Mutter oder von El Rawas’ Frau.
Während Sebastian El-Rawas und Lars Preisser einen durch ihre Räume führen, können sie zu jeder Ecke eine Geschichte erzählen. Vom Besitzer des Ladens gegenüber, der reinkommt, fragt: „Habt ihr Hunger? Ich habe Suppe gekocht“ und wenig später mit einem großen Top im Laden steht. Oder von spannenden Gästen, einem Kriminalkommissar aus Wien, einem Teppichhändler aus Marokko oder einer Kunstklasse, die als Performance auf der Straße Champagner ausgespuckt hat. Unterbrochen werden die Erzählungen regelmäßig durch Leute, die von außen reinkommen und durch eine Klappe im Boden in den Keller gehen. Sie holen dort Gemüse von einem nahegelegenen Landwirtschaftsbetrieb ab.
Meistens hat das „SUW“ freitags und samstags geöffnet. Events finden ein- bis zweimal im Monat statt. Da denkt Sebastian El-Rawas sich auch mal das Fingerfood aus, manchmal helfen Freund*innen, die einen Catering-Service haben. Den Alltagsbetrieb wuppen die beiden sonst meistens alleine.
Zukunft: ungewiss
Es könnte also eine Geschichte über Freundschaft werden, der Film über das „Spinner und Weber“. Über Solidarität und Gemeinschaft. Darüber, was man erreichen kann, wenn man sich gegenseitig unterstützt. Wenn Freunde Wasserleitungen legen, zum Beispiel. Oder beim Aufbau aufwendigerer Ausstellungen helfen. Oder immer wieder gefundene Möbel oder sonstige Utensilien wie jenes alte Münztelefon anschleppen, die den beiden Räumen ihren Charme geben. Und die im Notfall, wenn die Einnahmen aus dem Café nicht dazu reichen, die Miete zu decken, zusammenlegen.
Ja, so ein Film könnte es werden, wäre der Berliner Wohnungsmarkt nicht interessant für Investor*innen. Just zu der Zeit, wo der Verein zum „Spinner und Weber“ ein halbes Jahrzehnt Existenz feiert, kam die Nachricht: Das Haus wurde an die WGW verkauft, eine große Hausverwaltungsgesellschaft. Der Mietvertrag geht immerhin noch bis 2023. Was danach kommt oder ob der Verkauf schon früher Konsequenzen haben wird, ist ungewiss. Gewiss ist aber: Eine Mieterhöhung würde das „Spinner und Weber“ nicht nur treffen, sondern auch verändern. „Wir müssten dann mit unserem Laden Geld verdienen wollen“, sagt Preisser. „Dann müssten wir vieles anders machen – im Moment sind wir ja nicht-kommerziell.“
Auch jetzt ist das Geld knapp. Durch Events und das Café kommt in der Regel zwar die Summe für die Miete rein. Aber die Gebühren für die GEMA oder dafür, dass sie im Sommer draußen sitzen dürfen, zahlen sie aus der eigenen Tasche. Auch ein Gehalt für ihre Arbeit zahlen die beiden sich nicht.
Zwar ist die potentielle Bedrohung durch die neuen Besitzer für Preisser und El-Rawas noch nicht konkret, trotzdem können sie davon erzählen, was die Gentrifizierung mit ihrer Stadt gemacht hat. Beide sind hier aufgewachsen, im Berlin der Neunzigerjahre, als es noch Brachflächen gab, auf denen die Kinder toben konnten. „Berlin war früher ein Spielplatz“, sagt El-Rawas. „Der Wedding ist heute noch ein bisschen so. Total heterogen, alle haben ihren Raum.“ Aber auch das ändert sich. Flächen werden verbaut, die steigenden Mieten verdrängen Alteingesessene, Neue ziehen dazu. „Viele kommen von außen“, erzählt Preisser. „Sie wissen gar nicht, wie der Kiez funktioniert.“ Konflikte entstehen, die früher nicht entstanden wären. Zum Beispiel über ausrangierte Möbel, die oft und gerne auf die Straße gestellt werden. Sperrmüll für Außenstehende – für andere eine gesamte Inneneinrichtung.
Veränderungen wie diese wirken sich auch auf die Kunstorte aus. „Früher gab es viel mehr Räume wie unseren“, sagt El-Rawas. „In vielen Stadtteilen geht das jetzt schon nicht mehr. Hier im Wedding geht die Gentrifizierung jetzt auch los.“ Gerade für Kunst von Menschen, die noch zu keiner Popularität gekommen sind, werde es in den nächsten Jahren schwieriger werden, befürchtet Preisser. „Andererseits verkauft Kunst sich ja auch besser, wenn Leute mit Geld in die Stadt kommen“, fügt er an. „Es muss aber beides gemeinsam funktionieren.“
Die Geschichte über die Wandlungen im Wedding – sie ist noch nicht zu Ende erzählt. Und auch, welche Wendungen der Filmplot zum „Spinner und Weber“ nehmen wird, wird sich zeigen.
Das „Spinner und Weber“ in der Brüsseler Str. 37 hat meistens freitags und samstags geöffnet. Ein Blick auf die Facebookseite lohnt sich, denn da steht, wenn es geöffnet hat – auch abseits dieser beiden Tage.