Maike Brülls

Maike Brülls arbeitet als Journalistin in Berlin. Sie hat Kulturjournalismus studiert. Ihre Texte sind unter anderem in der taz, bei VICE, ZEIT Online, DUMMY und MISSY erschienen. Außerdem arbeitet sie an Videos für verschiedene Formate des funk-Netzwerks.

Wo Pommes, da Kunst

22.08.2018
DAs Tropez im Sommerbad HUmboldthain, Foto: Ink Agop
DAs Tropez im Sommerbad HUmboldthain, Foto: Ink Agop

Das Sommerbad Humboldthain bietet nicht nur ein großes Schwimmbecken und eine extrem kurvige Rutsche – sondern auch Kunst im Kiosk. Zu Besuch im „Tropez“.

„Sommer“ und „Freibad“ sind zwei Worte, die wunderbar zueinander passen. Sie wecken ähnliche Assoziationen: Draußen sein. Ferien. Freizeit. Warme Sonne auf nackter Haut. Den aufgeheizten Körper abkühlen. „Kunst“ wiederum ist ein Wort, das einem in diesem Zusammenhang nicht in den Sinn kommt. Umso spannender, wenn diese drei Begriffe aufeinandertreffen. Wie im Projekt Tropez. Denn dort gibt es Kunst – im Kiosk des Sommerbads Humboldthain.

Es ist ein heißer Wochentag im August. Ferienzeit. Seit gerade mal zwei Stunden hat das Freibad geöffnet, und doch ziehen einige Schwimmer*innen im hellblau schimmernden Wasser ihre Bahnen, legen Mütter auf der Wiese große Handtücher zu einer Liegefläche aus und kreischen vereinzelt Kinder schon ihr vergnügtes Freibad-Kreischen.

Auf Reisen im Schwimmbad

Von der Terrasse des Tropez aus kann man dieses Treiben wunderbar beobachten. Der Kiosk liegt links vom Schwimmbecken. Er ist ein gräulich-weiß verputztes Gebäude mit rot umrahmten Fenstern. Im rechten Teil ist die Ausgabe, wo man Pommes, frisches Obst oder Gin Tonic kaufen kann. Links davon liegt, durch eine Hecke abgetrennt, besagte Terrasse. Sitzen können Gäste auf Stühlen mit dicken, blumenbemusterten Polstern an quadratischen Tischen, neben denen rosafarbene, fransige Sonnenschirme stehen. Über die Terrasse gelangt man in den Raum, in dem die meisten der Kunstwerke ausgestellt sind. Weitere Tische gibt es darin auch. Denn auch jetzt, wo der Kiosk zum Tropez und damit zu einem Ort für Kunst wurde, muss er für das gastronomische Wohl der Badegäste sorgen. So steht es im Mietvertrag.

Gerade heißt das: Nele Heinevetter, die Kuratorin und Leiterin des Tropez, muss Vorräte aufstocken. „Hallo, hier ist Nele aus dem Humboldthain“, spricht sie in ihr Handy. „Ich möchte Eis bestellen. Dreimal Pirulo Tropical, zweimal Maple Walnuts, zweimal Frozen Yoghurt.“ Sie sitzt an einem der quadratischen Tische auf der Terrasse, trägt eine weiße Cappy und eine schwarze Sonnenbrille.

"Swim or Sink" von Aurora Sander im Tropez, Foto: Ink Agop

Sie wirkt routiniert – dabei hatte die 36-Jährige bis zum letzten Sommer mit Eisbestellungen und dem Frittieren von Pommes nicht viel zu tun. Die Kunsthistorikerin hatte bereits mehrere Ausstellungen umgesetzt und arbeitete einige Jahre für den Schinkel Pavillon. Dann kam ihr die Idee zum Tropez. „Das Schwimmbad ist einer der Orte, wo man mit viel Zeit hingeht“, sagt sie. „Man hat also auch eine gewisse Muße, sich Sachen anzugucken und zu entdecken. Anders als im Alltag.“ Als der Pächter der Gastronomie aufhörte, wandte sie sich an die Bäderbetriebe – und unterschrieb einen Fünfjahresvertrag. Nicht das erste Mal, dass Heinevetter ein eigenes Projekt ins Leben ruft. Denn 2009 gründete sie mit zwei weiteren Frauen niche Berlin“, eine Kulturagentur, die individuelle Touren durch die Kunst- und Architekturszene der Hauptstadt anbietet. Und doch begab sie sich mit dem Tropez in ein neues Metier: die Gastronomie.

Heinevetter legt auf. „Die nächste Woche wird wieder heiß und das Bad bestimmt brechend voll“, sagt sie. Sie lächelt und sieht etwas erschöpft aus. Kein Wunder – ein tougher Sommer liegt hinter ihr. Im Juni hat sie die diesjährige Ausstellung „Voyage“ eröffnet, die sie zusammen mit Leona Koldehoff und Sophie Boysen zusammengestellt hat. Neun Künstler*innen zeigen ihre Werke, die alle einen Bezug zum Schwimmbad oder zum Reisen haben. Da ist zum Beispiel das Duo Aurora Sander, deren Kunstwerk eine menschengroße Asia-Nudel-Box ist, aus der Betrachter*innen sich Schwimmnudeln greifen können. Oder eine Videoarbeit von Sandra Mujinga, das einen tanzenden Körper zeigt, dessen Oberfläche aussieht wie Wasser. Oder das Computerspiel von Porpentine Charity Heartscape, das Spieler*innen durch seine grobpixelige Optik auf eine Reise in die Neunziger mitnimmt.

„Hinter der Ausstellung steht die Idee, dass ein Schwimmbad im Sommer ja auch ein Ort für Leute ist, die nicht in den Urlaub fahren“, erklärt Heinevetter. „Diese Idee von Reise ist im Großen, wie auch im ganz Kleinen mit dem Schwimmbad verbunden. Manchmal nimmt man sich einfach nur eine Auszeit und geht ins Schwimmbad und manchmal ist man hier, weil man einfach kein Geld hat, um in den Urlaub zu fahren.“

TROPEZ_Food
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Ausstellungsansicht-Mujinga-Vorisek
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Ausstellung von “Disruptive Pattern” von Sandra Mujinga, Foto: Ink Agop

Eine Frau schiebt einen grauen Kinderwagen zögerlich in den Raum mit der Kunst, guckt sich um. Sie scheint den Kiosk zu suchen. Kurz bleibt sie stehen und geht wieder hinaus, um dann einige Minuten später wieder zurückzukommen. Dieses Mal bleibt sie länger. Wie sie kämen viele Menschen in die Ausstellung, die die Kunst aus Versehen entdecken, erzählt Heinevetter. „Es kommen aber auch Leute gezielt hierher, um sich die Kunst anzuschauen.“

Vor allem kommen die zu den vielen weiteren Events, die an einigen Wochenenden stattfinden. Zu der Ausstellung „Voyage“ gehören immerhin vier Veranstaltungsreihen, sechs Performances und ein Programm für Kinder. Das Performance-Duo New Noveta machte zum Beispiel den Beckenrand zur Bühne und startete mitten zwischen verdutzten Badegästen eine Performance. In der Diskussions- und Konzertreihe „Europool“ von Creamcake, einer queeren Musikreihe aus Berlin, wurden erst Positionen zu einem progressiven Europa diskutiert und dann gefeiert und getanzt. Und für Kinder gab es unter anderem einen Theaterworkshop, umgesetzt mit Christoph Schlingensiefs Operndorf Afrika. Ein Programm wie eine bunte Tüte also. Im Schnitt jedes zweite Wochenende gab es neben dem täglichen Betrieb eine solche Extra-Veranstaltung. Verständlich, dass Nele Heinevetter und ihr Team am Ende dieses Sommers urlaubsreif sind.

Publikum wie auf Techno-Partys

Trotzdem erzählt Leona Koldehoff begeistert von den letzten Monaten. Davon, wie sie nicht nur den Kiosk, sondern auch die Wiese und eben jenen Beckenrand zu einem Platz für Kunst gemacht haben. „Spannend ist vor allem, wie unterschiedlich das Publikum ist, das wir anziehen“, erzählt Leona Koldehoff. „Wir hatten natürlich viele Mütter mit ihren Kindern hier – aber auch viele Leute, die man sonst in den Technoclubs der Stadt antreffen würde.“

Nun ist die Saison fast vorbei, Anfang September schließt das Tropez. Ob es schon Ideen für das kommende Jahr gibt? Noch keine konkreten. Erst einmal müssen die Abrechnungen für die Bäderbetriebe und für die Sponsoren gemacht werden. Dann, September bis Oktober, wird das neue Programm geschrieben – für ein drittes Jahr Kunst im Freibad.

Das Tropez hat noch bis Anfang September geöffnet. Zum Programm geht es hier.

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