Anna-Lena Wenzel

Dr. Anna-Lena Wenzel* ist Autorin und Künstlerin. Nach ihrem Studium der Angewandten Kulturwissenschaften in Lüneburg promovierte sie über „Grenzüberschreitungen in der Gegenwartskunst“. Sie betreibt das Online-Magazin 99 % Urban und den Radiosalon für Alltägliches und ist in unterschiedlichen kollektiven Zusammenhängen unterwegs.

Zu Besuch in der grüntaler9

13.05.2019
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Die grüntaler9 ist ein Projektraum mit einem Schwerpunkt auf performative Formate, der von Teena Lange geführt wird. Im Gespräch erzählt sie, was den Ort ausmacht, wie das Programm entsteht und berichtet von nachbarschaftlichen Verbindungen.

Teena Lange betreibt den Projektraum grüntaler9 im Gesundbrunnen – in der Nummer Neun der Grüntaler Straße. Das Besondere dieser Straße ist ihr sieben Meter Breiter Trottoir. Der Vorteil des breiten Bürgersteigs ist, dass er Platz bietet: zum Schlendern, im Café sitzen, Fußballspielen. Er erweitert den Projektraum, der sich im Erdgeschoss in einem ehemaligen Laden befindet, auf die Straße. Sitzt man mit Teena Lange vor ihrem Raum auf der Straße kommen ständig Menschen vorbei und beginnen einen kurzen Plausch. Von links grüßt der Stammkunde aus der Bar nebenan, von rechts kommt ein Nachbar und wechselt ein paar Worte, dann kommt eine Kollegin vorbei, die ebenfalls nebenan wohnt, und fragt, wann Zeit für eine kurze Besprechung ist. Schnell wird deutlich: Teena Lange ist eine umtriebige Person und ihre Leidenschaft ist das Vernetzen und das Menschen-Zusammenbringen. „Es klingt vielleicht etwas spirituell“, sagt sie, „aber dieser Raum hat schon viel erlebt. Und das merkt man, wenn man hier arbeitet oder hier Zeit verbringt. Man kann einfach den ganzen Tag hier sitzen und Leute beobachten. Das ist wirklich toll.“

Betritt man den Raum, steht man auf einem schwarz-weiß gekachelten Fußboden und ist umgeben von Wänden, die alle unterschiedlich aussehen: mal sind sie nur verputzt, mal tapeziert, mal bemalt. Es sieht alles etwas zusammengewürfelt aus, Bänke und Stühle stehen im Raum herum, in einer Ecke trohnt ein Friseurstuhl. „Ich habe hier alles geschenkt bekommen“, erzählt die Projektraumbetreiberin.

Im hinteren, kleinen Raum befinden sich noch eine kleine Küche und ein Hochbett. „Das ist für Gäste; wenn sie von woanders kommen, können sie hier übernachten.“ Es ist einfach, aber gemütlich, mit einer Liebe fürs Detail. Teena Lange ist bestimmt eine gute Gastgeberin.

Anna-Lena Wenzel: Seit wann gibt es diesen Raum? 
Teena Lange: 2011 hat‘s angefangen, weil da ein befreundeter Künstler, Nikhil Chopra, für ein Fellowship nach Berlin gekommen ist. Wir kannten uns vorher schon lange und er wollte gerne ein Atelier/Performance-Raum, in dem er Sachen machen kann, haben, und da haben wir uns gemeinsam auf die Suche gemacht. Weil ich mit den Betreibern der F-Bar befreundet bin, saßen wir in der Bar und haben erzählt, dass wir einen Raum suchen. Da hat der gesagt, guckt doch mal nebenan, der Raum ist schon seit einem Jahr leer. Als wir durch die Fenster sahen und den schwarz-weißen Fußboden erblickten, wußten wir, dass ist unser Raum. Und einen Monat später haben wir den Mietvertrag unterschrieben. Wir haben einfach Glück gehabt – es war 2011 noch wesentlich einfacher, hier einen Raum zu bekommen.

Foto: Anna-Lena Wenzel

Seid ihr aktuell von Mieterhöhungen bedroht? 
Ja und nein. Es gab in den ersten drei Jahren eine kleine Staffelmiete, aber seitdem nicht wirklich eine Erhöhung. Das Problem ist, dass es offiziell ein Gewerberaum (Künstleratelier) und kein Wohnraum ist und man da nicht so viele Rechte hat. Das heißt, die könnten uns jederzeit, aus welchem Grund auch immer, kündigen. Wir haben vor einem halben Jahr etwas geschwitzt, weil es da neue Besitzer gab, Privatpersonen, die eine GbR gegründet haben, um dieses Haus gemeinsam zu kaufen. Da gab es etwas Panik unter den Mieter*innen, weil man nicht wusste, was passieren würde. Die waren auch nicht besonders kommunikativ, aber wir sind ständig im Kontakt untereinander. Es war klar, dass, wenn es Handlungsbedarf gibt, wir zusammenhalten würden, und ich den Raum für Treffen zur Verfügung stellen würde, um gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Aber bisher hat es noch keine Konsequenzen gegeben, auch wenn Leute kamen, um die Wohnungen zu vermessen.

Wie ist es nach dem ersten Jahr weitergegangen? 
Nikhil und ich wollten das eigentlich nur ein Jahr machen, aber irgendwie war ziemlich schnell klar, dass das erst der Anfang von etwas war. Ich habe lange überlegt, ob ich die Hauptverantwortung übernehmen möchte, weil klar war, dass ich es alleine weitermachen muss, aber hab mich dann dafür entschieden.

Wie entsteht das Programm und was macht ihr genau?
Ich mache das Programm nicht alleine, es sind immer Kollaborationen mit Künstler*innen, Kurator*innen oder Wissenschaftler*innen ganz unterschiedlicher Interessengruppen. Morgen ist hier zum Beispiel eine Sitzung vom Quartiersmanagement Badstraße. Es gibt auch Residencies oder besser “Research and Development”-Aufenthalte bzw. Work-Retreats. Das klingt etwas komisch, aber ich mag diese Begriffe lieber, denn so ist es doch: Leute bekommen für eine Weile die Gelegenheit zum Arbeiten, ohne dass sie unbedingt eine öffentliche Performance machen müssen. Ich versuche dabei soweit ich kann zu unterstützen, aber die Idee ist, dass sie den Raum nutzen können, um in Ruhe zu arbeiten ohne den Stress von Produktivität. Die Formate, die hier stattfinden, sind nicht immer öffentlich, momentan geht es mehr um den Arbeitsraum, der ja in Berlin immer umkämpfter wird. Deswegen habe ich vor zwei Jahre angefangen weniger Programm im Sinne öffentlicher Performances zu machen, sondern den Raum öfter und länger als Arbeitsraum zur Verfügung zu stellen – für Workshops oder Menschen, die gerade kein Atelier haben. Auch Hybride zwischen Tanz und Performance, Theater und Performance kommen hierher, um für einige Zeit zu proben.

Würdest du dich als Projektraum bezeichnen? 
Ja, definitiv, auch wenn dieser Begriff ziemlich ausgeleiert ist oder auch – im positiven Sinne – sehr dehnbar. Was ich gerne dazu sage, ist, dass es ein Projektraum mit einem sehr spezifischen Fokus auf Performancekunst und performative Forschung ist. Ich finde es spannend, mich grundsätzlich mit Arbeits- oder künstlerischen Forschungsmethoden zu beschäftigen, die performativ sind.

Foto: Anna-Lena Wenzel

Was ist dein persönlicher Hintergrund? 
Ich komme nicht aus der sogenannten Bildenden Kunst, was viele mit Performance Kunst verbinden, sondern habe lange in der akademischen Forschung gearbeitet. Ich habe Theaterwissenschaft, Literaturwissenschaft und Linguistik studiert. Ich kenne mich in der Tanz-, Theater- und sogenannten Bildenden Kunstszene aus. Und da wiederum nicht nur bei den Projekträumen, sondern habe auch die Museen, Galerien und diverse Institutionen im Blick. Ich interessiere mich für sehr unterschiedliche Gebiete und gehe zum Beispiel viel weniger zu Ausstellungseröffnungen als zu Vorträgen, die sich wissenschaftlichen Methoden oder Themen wie z.B. Schwarzen Löchern widmen. Bei Symposien oder Workshops lernt man einfach mehr.

Wie bist du hier in der Nachbarschaft vernetzt? 
Auch wenn ich hier nicht wohne, kenne ich dieses Gesundbrunnenviertel ziemlich gut. Ich kenne viele Leute, die hier leben – und das sind nicht nur Künstler*innen. Es gibt auch Kontakte zu den umliegenden Orten wie den Uferstudios, der uqbar, der Kolonie Wedding oder seit kurzem mit dem Lobe-Block, wo wir jetzt ein Hochbeet haben, eine erneute Erweiterung des Projektraums grüntaler9. Zudem bin ich Mitglied im Quartiersrat Badstraße.

Wow, bist du aktiv – schließlich kuratierst neben der grüntaler9 noch eine Performance-Reihe im studio im Hochhaus (eine Kommunale Galerie in Lichtenberg), bist im Rat für die Künste und betreibst das sonntagsbureau!
Für mich gehört es zur Arbeit dazu, mich einzubringen, denn wenn ich nicht weiß, was gerade passiert, kann ich nicht entsprechend agieren. Ich muss wissen, was gerade gebraucht wird und wo ich Menschen zusammenbringen könnte. Mir geht es darum, immer weiter zu lernen. Ich bin seit 2016 im Rat für die Künste und hab jetzt erst das Gefühl etwas beitragen zu können, weil man erst mal Verbindungen verstehen und lernen muss, um selber mitmischen zu können. Letzte Woche waren wir mit dem Rat für die Künste in der Werkstatt des Haus der Statistik zu Gast, das war superspannend!

Du hast vor zwei Jahren das sonntagsbureau gegründet, und machst seitdem jeden Sonntag ein öffentliches Programm in der Amerika-Gedenkbibliothek. 
Genau. Sonntagsbureau ist ein Team, das ich im Sommer 2017 mitbegründet habe, weil wir uns beworben haben bei der Zentralen Landesbibliothek, die Sonntagsveranstaltungen in der AGB zu konzipieren und umzusetzen. Seit dem 24.9.2017 (dem Tag der Bundestagswahl) machen wir jeden Sonntag ein ganztägiges Programm.

Aber es sind so unterschiedliche Formen des Programmierens! Während es in der öffentlichen Bibliothek darum geht, ein Programm zu machen, das so viele Menschen wie möglich anspricht, integrativ und verständlich sein muss, macht man hier in der grüntaler9 so spezifische Performances, die ein Publikum haben zwischen 5 und 50 Leuten! Es ist schon ein großer Unterschied, vor allem weil die AGB eine ganz andere Struktur hat.

Kannst du uns ein Beispiel für deine Aktivitäten in der grüntaler9 geben?
Letztes Jahr habe ich zum dritten Mal beim Projektraumfestival mitgemacht und hab dafür ein Format (LEGS) übernommen, bei dem ein Zeitrahmen festgelegt wird – im meinem Fall waren es 9 Stunden. Jede*r, der*die an diesem Tag in der grüntaler9 performen möchte, darf performen. Ich habe tatsächlich 50 Leute zusammengekriegt, die jeder 13 Minuten bekommen haben. Das hat super funktioniert – obwohl ich nur die Reihenfolge festgelegt habe, alles andere ist so entstanden. Ich mochte, dass über den Tag verteilt viele Menschen gekommen und gegangen sind, weil das für mich die grüntaler9 ist. Es geht nicht darum ein Programm oder eine Performance von Anfang bis Ende anzuschauen, sondern zu kommen und zu gehen und sich zeitlich nicht festzulegen. Von Anfang an lag meine Präferenz auf Langzeitperformances, in denen es gar nicht möglich ist, dass du die ganze Zeit dabei bist. Das ist ein wichtiges Element und ich ermutige die Performer immer, über die üblichen zwei Stunden hinauszugehen, weil das auch die Besucher*innen herausfordert, weil sie selber Entscheidungen treffen müssen: Wann komme ich, wie lange bleibe ich? Und das verbindet mich mit Nikhil, mit dem ich den Raum begonnen habe.

Foto: Anna-Lena Wenzel

Du hast schon ein bisschen über den Kiez gesprochen, was macht ihn aus? 
Was ich ganz süß finde, ist ein Café, das heißt malheur. Das ist von außen recht unscheinbar, ist aber schön gemacht. Dann sind die Leute vom Quartiersmanagement echt cool. Die versuchen sehr viel hier zu machen und Vorschläge von Mitgliedern des Rates umzusetzen oder zu unterstützen. Ich mag es wenn Leute sozial mitdenken und versuchen zu vernetzen.

Du bist ja auch eine aktive Netzwerkerin…
Ja. Aber ich hatte am Anfang ein bisschen Bammel, wie die Anwohner*innen auf einen Kunstraum reagieren würden, denn es gibt kaum andere solche Räume in unmittelbarer Nähe. Und hier passieren schon schräge Sachen.

Aber es ist wahrscheinlich eine Frage der Haltung des Raumes. 
Genau. Und tatsächlich gab es keine Aggressivität und es hat uns nie jemand angezeigt oder angemacht. Natürlich kommen abends mal Leute rein und grölen rum im besoffenen Zustand, aber das gehört dazu.

Es ist ja auch ein offener Raum. Habt ihr die Rollläden nachts zu? 
Nein, es gibt gar keine.
Ich musste erst lernen, dass ich, wenn ich hier bin, ich ausschließlich als Projektraumbetreiberin hier bin und Gespräche führe, aber nicht an meinem Rechner arbeiten kann.

Was mir aufgefallen ist, als ich dein Programm angeschaut habe, ist, dass du ein sehr internationales Programm machst. 
Ja, das stimmt.

Aber es ist eine andere Internationalität als es sie hier im Viertel gibt?
Ja, definitiv. Das Viertel ist türkisch, arabisch, osteuropäisch geprägt, dann gibt es noch deutsche Ur-Weddinger, aber es verändert sich.

Es kommen die, die es sich leisten können. Das sind vorwiegend Nordamerikaner, Westeuropäer, aber auch Südamerikaner, aus Asien kommen relativ weniger. Die meisten, die in der grüntaler9 performt haben, waren Neu-Berliner. Was ich dabei schade finde, dass es dann doch immer wieder die gleichen Kulturkreise sind. Ich hatte auch schon Performer da, die aus Iran, Pakistan, Ägypten kamen, aber es sind noch viel zu wenig. Aber ich kann das auch nicht forcieren. Ich habe nicht das Budget, um sie einzuladen. Es ist auch schwierig für einen kleinen Raum wie die grüntaler9 das alles zu organisieren, weil du für Budgets oft höhere Besucherzahlen und Eintrittsgelder etc. nachweisen musst. Das mache ich aus Prinzip nicht. Die Künstler*innen, die ich zum Performen einlade, leben in den meisten Fällen hier.

Wie seid ihr denn finanziert? Gibt es eine Förderung? 
Nein, nur sporadisch. Es gab im ersten Jahr eine Förderung durch das Künstler-Residence-Programm von Nikhil, sodass wir uns im ersten Jahr keine Gedanken um die Miete machen mussten. Seitdem habe ich das irgendwie alleine auf die Beine gestellt. Ich hatte das Glück, 2016 den Projektraumpreis zu gewinnen und das hat natürlich sehr geholfen. Das hat mir ein Polster bzw. eine Pause verschafft, die ich dringend nötig hatte. Deswegen gibt es auch den “Büs” – einen Van, der als mobile Erweiterung der grüntaler9 dient, weil ich nicht mehr nur Host spielen wollte, sondern auch mal wo hinfahren wollte. Das ist so ein bisschen die Idee: Die grüntaler9 als Konzept sollte nicht beschränkt sein auf einen Ort, also diesen Laden, sondern sich erweitern.

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