Anna-Lena Wenzel

Dr. Anna-Lena Wenzel* ist Autorin und Künstlerin. Nach ihrem Studium der Angewandten Kulturwissenschaften in Lüneburg promovierte sie über „Grenzüberschreitungen in der Gegenwartskunst“. Sie betreibt das Online-Magazin 99 % Urban und den Radiosalon für Alltägliches und ist in unterschiedlichen kollektiven Zusammenhängen unterwegs.

Eintreten lohnt sich!

11.04.2023
Turmstraße Berlin Moabit, Foto @ Anna-Lena Wenzel

Beim Gang durch die Turmstraße in Berlin-Moabit lassen sich erstaunlich viele Informationen zur Geschichte der Straße und ihrer Gebäude finden – auf Gedenktafeln, Infostelen oder QR-Codes. Darüber hinaus lohnt es sich, das ein oder andere Gebäude zu betreten und die Hinterhöfe zu erkunden, um Kunst- und Geschichtsausstellungen zu entdecken oder um imposante Architekturen von innen zu sehen.

Die Turmstraße selbst ist ein merkwürdiger – und interessanter! – Hybrid aus einzelnen Solitären: Während sie im Ost- und Mittelteil wichtige lokale und landespolitische Ämter sowie Bildungs-, Justiz-, und Kultureinrichtungen beherbergt, ist sie am westlichen Ende von Ein-Euro-Shops, Imbissen und Baklava-Läden geprägt. Ist sie einerseits eine wichtige Verkehrsader mit viel Fußgänger-Traffic, fehlt ihr aufgrund des Kleinen Tiergartens zum Süden hin die Dichte.

U-Bahn-Ausgang

Nimmt man den U-Bahn-Ausgang „Turmstraße“ hin zur Wilhelmshaver Straße kommt man an einer bunten Kachelwand vorbei, auf der erklärt wird, wie die Turmstraße zu ihrem Namen kam:

„Die Turmstrasse wurde 1818 auf einem alten Heerweg angelegt. Den Namen „Turmstraße“ erhielt sie aufgrund der Tatsache, dass damals bei guter Sicht in beiden Richtungen ein Turm zu sehen war: In westlicher Richtung der Turm der Spandauer Nicolaikirche – in östlicher Richtung der Turm der Berliner Sophienkirche.
Am 2. August 1961 wurde im Verlauf der Linie U9 der U-Bahnhof „Turmstrasse“ eröffnet – gestaltet von dem Architekten Bruno Grimmek. Im Zuge von Instandsetzungsmaßnahmen kamen 2012 die künstlerische Bearbeitung der Pfeiler im Wartebereich hinzu – entworfen und ausgeführt vom Berliner Kachel-Atelier Pohl.“

Kachelwand, U-Bahn Haltestelle Turmstraße, Foto @ Anna-Lena Wenzel

Auf der Straße

Steht man auf der Turmstraße zwischen dm und dem Gesundheitszentrum, ist man mit einer Großbaustelle konfrontiert: „Seit Mitte August 2021 sind die Baustellenarbeiten im Zuge des Straßenbahnausbaus in vollem Gang. Die Linie M10, die bisher am Hauptbahnhof endet, wird um 2,2 Kilometer zum U-Bahnhof Turmstraße verlängert. Künftig sollen die Straßenbahnen im 5- bis 10-Minuten-Takt fahren und umsteigefrei den Prenzlauer Berg, den Hauptbahnhof und Moabit verbinden. Ab dem Hauptbahnhof bzw. der Lüneburger Straße als bisheriger Endstation werden vier neue barrierefreie Haltestellen mit jeweils zwei Zugängen sowie eine neue Richtungshaltestelle gebaut. Die Straßenbahnstrecke soll voraussichtlich im Juni 2023 fertiggestellt und eröffnet werden. Bis dahin wird es zu Beeinträchtigungen insbesondere im Straßenverkehr kommen.“ So heißt es in der Februar/März Ausgabe der ecke, der Lokalzeitung für das „Lebendige Zentrum“ und Sanierungsgebiet Turmstraße, herausgegeben vom Bezirksamt Mitte von Berlin, Stadtentwicklungsamt, Fachbereich Stadtplanung. [1]

Berliner Sparkasse / Foto Fix / Moavitalis Gesundheitszentrum / Sönnes Baklava/ Commerzbank / dm / Turm Apotheke / Coffee Turm

Nr. 10 – Jenseits von Birkenstraße e.V.

Im Fenster eines kleinen Ladens steht dieser Text in unterschiedlichen Sprachen am Fenster und lädt ein zu Malkursen wie Kneipenabenden:

„Wir als JVB e.V. möchten Menschen im Kiez und darüber hinaus einen Raum zur künstlerischen, politischen, sozialen oder anderswertigen Betätigung bieten. Als kleiner Gegenentwurf zu einer Stadt, in der Orte der kollektiven Nutzung verschwinden oder unbezahlbar werden. Falls ihr Ideen oder Fragen habt, eine Gruppe, Einzelperson oder Struktur seid, euch schon lange trefft, oder gerade erst anfangt, dann schreibt uns doch unter: . Wir freuen uns!“

Kaufland / Meiniger Hotel / New Yorker / Kamps / Wonder Waffel

Nr. 25 – Schultheiss-Quartier

Betritt man die zweigeschossige Shopping Mall auf dem ehemaligen Brauereigelände, die 2018 eröffnet wurde und geht auf die Rolltreppen zu, läuft man über eine in den Boden eingelassene Platte mit einem Gedicht von Joachim Ringelnatz:

„Berlin wird immer mehr Berlin.
Humorgemüt ins Große.
Das wär mein Wunsch: Es anzuziehn
Wie eine schöne Hose.
Joachim Ringelnatz, 1883-1934, Berliner Schriftsteller“

Projekt BEA (Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, Sauerbruch und Hutton) / Staatsanwaltschaft Berlin / wiko / Turm Bistro / Blumenhaus Witte / J & R Kosmetik Institut / Minimarkt Damas / Nusantra Indonesisches Restaurant

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Shopping Mall Schultheiss-Quartier, Foto @ Anna-Lena Wenzel
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Gedicht von Joachim Ringelnatz auf einer Bodenplatte im Schultheiss-Quartier, Foto @ Anna-Lena Wenzel
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Turmstraße Berlin Moabit, Foto @ Anna-Lena Wenzel
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Turmstraße Berlin Moabit, Foto @ Anna-Lena Wenzel

Nr. 21 – Gesundheits- und Sozialzentrum Moabit

Gegenüber des Kleinen Tiergartens befinden sich auf dem Gelände des ehemaligen Krankenhauses Moabit, das 2001 geschlossen wurde, heute zahlreiche Einrichtungen wie das Landesamt für Gesundheit und Soziales, das Landesamt für gerichtliche und soziale Medizin und das Gesundheitsamt des Bezirks Mitte. Hinzukommen Einrichtungen der Charité, Arztpraxen und Pflegeeinrichtungen. 

Vor einem der älteren Gebäude steht eine Infostele und informiert über die Geschichte des Hauses als Beamtenwohnhaus und Schwesternwohnheim:

„Mit der Erweiterung des Krankenhauses Moabit gegen Ende des 19. Jahrhunderts stieg auch der Bedarf an qualifiziertem Personal. Deshalb wurde 1983 unter der Leitung des Stadtbauinspektors Fridolin Zekeli ein aus Vorderhaus und Seitenflügel bestehendes Gebäude mit Dienstwohnungen, Schulungs- und Sozialräumen errichtet. Um die ungelernten männlichen Krankenwärter zu ersetzen, bildete man verstärkt weibliche Pflegekräfte aus, deren wachsende Zahl 1902 den Bau eines Schwesternheims erforderlich machten. Neben den Zimmern enthielt es eine Gemeinschaftsküche und einen Speisesaal.“

In der Diakonie-Station Tiergarten, die sich in einem Backsteinbau direkt an der Turmstraße befindet, ist an der Außenwand eine Gedenktafel angebracht, die an den Widerstandskämpfer Georg Groscurth (27.12.1904-8.5.1944) erinnert: „Hier, im Krankenhaus Moabit, organisiert Georg Groscurth Widerstand gegen nationalsozialistische Unterdrückung. Der Arzt unterstütze unter anderem politisch und rassisch Verfolgte. Am 4. September 1943 wurde er aus diesem Grund verhaftet und am 8.Mai 1944 im Zuchthaus Brandenburg hingerichtet.“

M & M Back / City Friseur / Spätkauf / Fiseur Essanelle / My Foto / Pizza Amore / Darwich’s Crispy / O2 / Arresalah e.V. zur Unterstützung der Familie / Mir Style / Bakers / Falafel / Currry Ecke

Mathilde-Jacob-Platz 1

Vor dem Rathaus Tiergarten des Bezirksamts Mitte versammeln sich gleich mehrere Hinweisschilder und künstlerische Interventionen. Fangen wir mit dem Offensichtlichsten an – der Vitrine. Diese kann für je einen Monat gegen ein Entgelt bespielt werden. Bis Ende März stellte der Künstler Marc Rohweder Arbeiten unter dem Titel „Tauchbericht Moabit“ aus. Es handelt sich um mehrere Tusche-Zeichnungen, die im Raum zu schweben scheinen. Rohweder, der gleich um die Ecke in der Zwinglistraße sein Atelier hat, verweist mit dem Titel auf die Entstehungsgeschichte der Blätter, die durch ein Eintauchen (engl. Immersion) in ein mit Tusche gefülltes Wasserbecken entstehen. Das Ergebnis sind zarte Strukturen, die mitunter an topographische Verläufe erinnern. Der Titel „Tauchbericht Moabit“ ist aber auch eine Anspielung auf die geografische Lage von Moabit, so Rohweder, denn der Stadtteil ist von allen Seiten von Wasser umschlossen.

Zur Grünfläche hin weist ein Schild auf den Naturlehrpfad Moabit hin. Eingezeichnet ist eine Karte der Umgebung mit „Grünen Highlights am Naturlehrpfad Moabit“, unter anderen wird dort auf die Zierkirschen vor dem Rathaus verwiesen oder auf die Walnussbäume, Baumhasel, Zier-Birne, -Apfel, -Kirsche, Paulownie (chinesischer Zierbaum), die in der Waldstraße wachsen. Auch auf den alten und seltenen Baumbestand der Thusnelda-Allee wird verwiesen, bestehend aus Linden, Ulmen, Buchen und Maulbeerbäumen. Aufgestellt hat das Schild der BUND Berlin.

Auf dem Weg zum Rathaus lohnt ein Blick auf den Boden. Dort befindet sich eine Markierung, die in Form eines QR-Codes auf den Gedenkort Güterbahnhof Moabit in der Quitzowstraße hinweist.
Ein weiterer Geschichtsort befindet sich im Rathaus. Dort hat das Mitte Museum einen Ableger. „Das Rathausgebäude entstand 1935 bis 1937 und war der erste Neubau in der Zeit des Nationalsozialismus für die Berliner Kommunalverwaltung. Die Ausstellung „Das Rathaus Tiergarten als Täter- und Erinnerungsort“ gibt Einblicke in die Geschichte des Ortes und diskutiert Formen des Umgangs mit NS-Architektur heute.“[2] Zudem kann man das historische Bürgermeisterzimmer besichtigen. In dessen Vorzimmer werden mit Kurt Tucholsky, Musa M. Džalilʹ, Albrecht Haushofer und Nelly Sachs vier Schriftsteller*innen vorgestellt, die in der Zeit des Nationalsozialismus in Berlin-Tiergarten verfolgt wurden.

Moabiter Döner / Ital. Eis Da Gianni / Juwelier Elissa / Pfenningland / Pizza & Pasta Arminius Apotheke / Risa / Flying Fisch / Fayrit Kebab / Bolu Fleisch und Lebensmittel / Bio Company

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„Tauchbericht Moabit“ Arbeiten des Künstlers Marc Rohweder in der Vitrine vor dem Rathaus Tiergarten des Bezirksamts Mitte, Foto @ Anna-Lena Wenzel
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„Tauchbericht Moabit“ Arbeiten des Künstlers Marc Rohweder in der Vitrine vor dem Rathaus Tiergarten des Bezirksamts Mitte, Foto @ Anna-Lena Wenzel
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Schild: Naturlehrpfad Moabit, Foto @ Anna-Lena Wenzel
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Dependence des Mitte Museums im Rathaus Tiergarten, Ausstellung „Das Rathaus Tiergarten als Täter- und Erinnerungsort“, Foto @ Kultur Mitte
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Nr. 75 – Brüder-Grimm Haus

Das Brüder-Grimm Haus beherbergt mehrere Kultur- und Bildungseinrichtungen des Bezirksamts Mitte wie die Musikschule Fanny Hensel, die Volkshochschule sowie die Galerie Nord. Im Erdgeschoss und von außen einsehbar, bespielt der Kunstverein Tiergarten die Räumlichkeiten. Bis zum 8. April stellte der Künstler Said Baalbaki aus, der seit 20 Jahren in Moabit lebt und arbeitet. In seiner Einzelausstellung „Gestern wie heute“ zeigt er mehrere komplexe Werkserien, die sowohl Einblick in seine konzeptuelle und recherchebasierte Arbeitsweise geben, als auch skulpturale Arbeiten und Malerei umfassen.
Geht man durch die Einfahrt, kommt man auf einen geräumigen Hof, der von Gebäuden des Berlin Kollegs umgeben ist, ein Institut zur Erlangung der Hochschulreife.

An der Außenwand wird auf einem Schild das Projekt „15 Buchstaben – 101 Wörter“ der Künstlerin Penelope Wehrli vorgestellt. Die Arbeit, die jeweils ab Dämmerung an der Fassade zu sehen ist, nimmt den Schriftzug an der Fassade des Hauses (Brüder-Grimm Haus = 15 Buchstaben) als Ausgangspunkt, um durch das Erleuchten einzelner Buchstaben 101 neue Wörter und Wortfolgen zu kreieren.
Auf dem Schild heißt es:
„Die drei Wörter Brüder-Grimm-Haus kennzeichnen das historische Haus in der Turmstraße, das sich mit all seinen Institutionen seit Jahrzehnten der Kunst, Kultur und Weiterbildung widmet. Die Künstlerin Penelope Wehrli stellt den Schriftzug des Hauses in den Mittelpunkt ihrer Intervention und rückt mit ihren Wortspielen die Lebendigkeit von Sprache in das öffentliche Bewusstsein.
Die fünfzehn Buchstaben des Schriftzuges bilden das Material für die Komposition unzähliger Abfolgen von Wörtern und Lauten. In unterschiedlichsten Geschwindigkeiten und Rhythmen leuchten diese teils wundersamen Wortspiele über die Fensterfront der Galerie Nord. Sie stellen Bezüge zum deutschen Wörterbuch der Brüder Grimm her und lassen Bilder ihrer universellen Märchensammlung entstehen. Das Außerkraftsetzen von gängigen Satzanordnungen und der Gebrauch von klanglichen Lautfolgen wecken Assoziationen zu Comic, Trash-Art und Dada.“
2022 wurde die Installation um die Sprachen Türkisch, Französisch, Kroatisch und Spanisch erweitert.

Der Everst – Nepalesisch und indisches Restaurant / Viet Ma / Luwian Bäckerei / Hair Style Elegant / Angkor Reisen / Lohmann Leihhaus / tipico Wettbüro / Syran Natur Parkett / Honiggelb Mittagstisch / Avrasyam Döner / u Zosi Polnische Spezialitäten / Kanzlei Sari

Installation von Penelope Wehrli „15 Buchstaben – 101 Wörter“, Foto @ Berghaus


Nr. 86 – Verwaltungsakademie Berlin

Dieses eher unspektakuläre Backsteingebäude wurde 1881-1882 errichtet und ist ein typischer Schulbau seiner Zeit. Ergänzt wird er durch einen Anbau mit bunten Kacheln an der Fassade aus den 1960er-Jahren. Bis 2010 waren hier verschiedene Schulen untergebracht, zuletzt die Breitscheid-Oberschule. Nach Umbauten und Modernisierungen nutzt seit 2014 die Verwaltungsakademie Berlin das Gebäude. Sie ist die zentrale Aus- und Fortbildungseinrichtung der öffentlichen Verwaltung und bietet Inhouse-Veranstaltungen (wie Teamentwicklungsworkshops oder Zukunftskonferenzen) ebenso an wie Ausbildungslehrgänge zum Verwaltungsfachangestellte/r und Führungslehrgänge.

Nr. 87

Im kleinen Grünabschnitt befindet sich eine Bronze zum Gedenken an Wilhelm Schwartz (1821-1899). Heute nahezu unbekannt, war Schwartz zu seiner Zeit ein angesehener Schriftsteller, Sagenforscher und Regierungsrat, dessen Buch „Sagen und alte Geschichten der Mark Brandenburg“ 1871 erstmals erschienen, 2014 eine Wiederauflage im Saga Verlag erfuhr.

Nr. 91 – Kriminalgericht Moabit

Das repräsentative Gebäude am Ende der Straße, kurz vor dem Fritz-Schloß-Park, beherbergt das Landesgericht und die Staatsanwaltschaft. Es ist laut Wikipedia mit 340 Richter*innen und 360 Staatsanwält*innen das größte Strafgericht Europas. [3] Den neobarocken Bau kann man auch als Besucher*in betreten (vorausgesetzt man hat einen Personalausweis dabei und lässt sich von der Eingangskontrolle nicht abschrecken). Ein Besuch lohnt sich, denn das Treppenhaus ist imposant – von den Bodenfliesen über die Fenster, in denen sich zum Teil noch die bunten Originale befinden, bis hin zu den Deckengewölben.  


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